Banalverkehr - Roman
ein Bein zu verlieren. Aber es ist ja nur Lene. Haha. Und nicht mein Bein. Ähm … Wie auch immer. Heute wird ein guter Tag.
Ich gehöre ja tatsächlich zu den Frauen, die gerne zum Gynäkologen gehen. Dr. Engels ist so ein netter Mensch und erzählt immer die spannendsten Geschichten von seinen Reisen um die Welt. Heute geht es um Tropfsteinhöhlen in Südafrika und ich flippe fast aus, weil mir der subtile Witz natürlich nicht verborgen bleibt. Höhlenforschung beim Frauenarzt , das ist noch besser als reinschieben . Dr. Engels sollte zum Fernsehen gehen. Die Dr. Engels-Show , gynäkologisches Kabarett oder so.
»Oha!«, ruft er plötzlich und schießt zwischen meinen Beinen hoch. »Oha« ist neu. Hab ich noch nie von einem Mann gehört, der zwischen meinen Beinen beschäftigt ist.
»Ist das ein Fachausdruck?«, frage ich, werde aber direkt aufgefordert, mich wieder anzuziehen, um danach in einen Becher zu pinkeln.
»Ich bin mir nicht sicher«, höre ich Dr. Engels’ Stimme, während ich in der Umkleide stehe, »aber ich könnte mir vorstellen, dass Sie schwanger sind.«
»Oha!«
Ich pinkele also in einen Becher und warte. Schwanger kann ich eigentlich nicht sein. Ich nehme seit über zehn Jahren die Pille, und »ich bin mir nicht sicher« in Kombination mit »ich könnte mir vorstellen« klingt für mich eher nach Quizshow als nach Diagnose. Ansonsten ist Dr. Engels ein Profi, der eine Schwangerschaft sofort erkennen würde. Der ist so alt, der war schon im Geschäft, als Frauen noch vom Küssen schwanger geworden sind. Die Dr.-Engels-Show bräuchte auf jeden Fall einen guten Titel. Dr. Engels’ Gynni-Quiz? Funny Gynni-Quiz? Hach, so ganz zufrieden bin ich damit noch nicht.
»Herzlichen Glückwunsch!«, sagt er und schüttelt mir die Hand.
Mir schwant, es geht nicht darum, dass ich meinen Pipibecher vorm Abgeben abgewischt habe. Mache ich nämlich immer, weil ich es unfair finde, wenn die arme Arzthelferin nasse Finger kriegt, nur weil ich nicht richtig zielen kann. Bis jetzt hat mich aber noch nie jemand dafür beglückwünscht. Und dass ich vorhabe, ihn ganz groß rauszubringen, kann er eigentlich auch nicht mitgekriegt haben.
»Dritte Woche«, sagt Dr. Engels.
»Oh«, sage ich, »langsam wird’s …« Ja, was?
Eine halbe Stunde später sitze ich auf dem Randstein vor der Praxis und zünde mir eine Zigarette an. Inhalieren. Rauch auspusten. Das Ganze einundzwanzig Mal im Wechsel. Die vier Mal, bei denen ich mich am Rauch und meiner eigenen Spucke verschlucke, zählen nicht. Kippe ausdrücken. Schachtel wieder in die Handtasche packen. » Rauchen in der Schwangerschaft schadet Ihnen und Ihrem Kind «, steht drauf.
»Nichts für ungut«, sage ich zu dem drei Wochen alten Zellhaufen in meinem Unterbauch.
Er/Sie/Es kann ja nichts dafür. Aber ich ja wohl auch nicht, immerhin habe ich jeden Tag die Pille genommen. Mal eine Stunde früher oder später, aber wer kann denn ahnen, dass die blöden Östro- und Gestagene nach der Stechuhr arbeiten? » Wenn die Ablöse nicht in fünf Minuten da ist – Ich mach hier keine Überstunden! «
»Beamte sind das«, denke ich noch schnell, bevor ich meinem Gehirn erlaube, in die fällige Panik auszubrechen.
Ich warte.
Und warte.
Und weil Warten langweilig ist, rauche ich noch eine.
Aber es passiert nichts. Ich bin nicht panikbar, und das kommt mir der Situation gegenüber äußerst unpassend vor. Ich versuche, sie mir noch einmal bewusst zu machen. Ich bin seit fünf Wochen mit Lutz zusammen. Mit ihm hatte ich ungefähr fünfmal Sex. Mit seiner Zahnbürste mindestens fünfmal so viel. Trotzdem gehe ich davon aus, dass Lutz der Vater ist. Ich ziehe das Ultraschallbild aus der Tasche, das man mir nach der Untersuchung in die Hand gedrückt hatte. Sieht nicht aus wie ein Kind. Das ist eine Erbse. Ganz eindeutig. Und sie trägt einen Rucksack. Er/Sie/Es muss also definitiv von Lutz sein. Gut, dann hätten wir das schon mal geklärt.
Trotzdem: Auch wenn mir das Sympathiepunkte bei Lene einbringen würde – schwanger will ich eigentlich nicht sein. Mir für Lene meinen Körper ruinieren lassen? Freundschaft in allen Ehren, aber das geht dann doch ein bisschen zu weit, oder?
»Lutz, wir müssen reden«, sage ich, während ich mit der Gabel tiefe Gräben durch den Kartoffelbrei ziehe. Obwohl mir die Arzthelferin eigentlich was schuldig war – wegen dem Pipibecher –, hatte man die Schwangerschaft in der Praxis nicht zurücknehmen wollen. Selbst dann nicht,
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