Banalverkehr - Roman
hatte ich mir Birdie gewünscht, ein Vogelmädchen mit Zöpfen! Mama wollte nicht, dass ich bei McDonalds esse … Ich musste die Knotenbeißer jeden Nachmittag, wenn ich von der Schule kam, abmachen, damit sie nicht fragte, wo ich sie herhatte. Ich wollte Birdie. Ich wollte doch einfach nur meine Birdie! Meine Lene! Ich will meine Lene! Die alte Lene! Die ohne Niveau! Und ohne Freund! Und ohne Kängurubauch! Meine Lene ist kein Krapfen! Und ich bin auch kein Krapfen! Ich bin ein Sushiröllchen! Festes Fleisch vom Lachs. Glänzende Haut. Nichts mit schwangerschaftsbedingten Wassereinlagerungen. Klebriger Reis. Wie das Sperma meiner namenlosen Eintagsfreunde. Außen rum der Algenwickel, der aussieht wie Leder. Mein bis vor kurzem verschollener Minirock, in den ich bald nicht mehr reinpassen soll. Und Wasabi und Sojasoße für die Extrawürze. Es ist doch ein Spitzenleben ! Suuushi!
»Lutz!«, rufe ich panisch, und die Gedankenhasen verkriechen sich vor Schreck im nächsten Erdloch. »Ich kann das nicht! Ich kann das alles nicht! Ich will keinen Leichenring! Ich will nicht, will nicht, will nicht! Ich will Birdie!«
»Verstehe«, sagt Lutz ganz ruhig. Und natürlich versteht er nicht . Nicht nur, weil er die Geschichte mit Birdie nicht kennt. Er glaubt, die Hormone spielen verrückt, und nimmt mich in den Arm. »Mach dir keine Sorgen. Es wird alles gut. Lass uns eine Runde kuscheln, dann geht’s dir wieder besser.« Dieser Ton, dieser furchtbare, abartig ruhige Ton. Lass uns eine Runde kuscheln, Puppe oder unsere Namen tanzen. Ich will nicht. Will, will, will nicht!
»Ich mach dir jetzt erst mal einen schönen Kamillentee.«
»Leck Arsch.«
»Der wird dir guttun.«
»Mein Stickeralbum. Wo ist mein Stickeralbum?« Ein letztes Aufbäumen.
»Ganz ruhig.«
»Bööööööööördie …« Die letzten Zuckungen … und bumm! Dann fällt er um, der schwermütige Elefant, getroffen von der Beruhigungsspritze. Schwangerschaftshormon-Überdosis.
Alle Zweifel werden mit positiver Stimmung bewichst, und plötzlich lese ich Babyzeitschriften, surfe im Internet und verfolge aufmerksam die wöchentliche Entwicklung der Erbse. Mein Gefühl sagt mir, es wird ein Junge, und die Suche nach einem passenden Namen macht viel mehr Spaß als grausame Gedankenkapriolen. »Captain Riefstahl« – so wird er heißen. Ja. Keine Ahnung, wie ich darauf komme und ob irgendein Standesamt das genehmigen würde, egal! Ich bin voll auf’m Trip! Ich sitze auf meiner babyblauen Wattebauschwolke und male mir ein Bild von der babyblauen Zukunft mit Captain Riefstahl. Wie ich mit ihm unter dem Arm in meinem Lieblings-Coffeeshop einreite. Ich würde einen koffeinfreien Kaffee bestellen und die Milch, die der freundliche Barista mir anbietet, dankend ablehnen. Ich hätte ja meine eigene Milchtüte dabei! Sogar zwei davon! Haha! Hahaha! Und dann säße ich mit offener Bluse in der Mitte des Ladens, an der einen Brust hinge Captain Riefstahl, die andere spritzte Milch in meinen Kaffeebecher. Die restlichen Kunden würden sich aufregen oder vor lauter Empörung sogar den Coffeeshop verlassen. Was für ein Spaß! Was! Für! Ein! Spaß!
Das Einzige, was dabei stört, ist Lutz.
Aber ich kann mich nicht von ihm trennen, denn ich weiß, dass ich ihn brauche. Wirklich. Da muss man sich nichts vormachen. Alleine würde ich es nicht schaffen. Captain Riefstahl muss ja auch mal gewickelt werden. Und wer sonst sollte ihm nachts sein Fläschchen geben? Ich kann es drehen und wenden, wie ich will. Ich kann mich drehen und winden , wie ich will. Lutz ist nun mal da, und ich muss mit ihm leben. Scheiße.
»Ist es nicht schön hier?«, fragt er, als wir an einem Samstagnachmittag Ende Mai im Botanischen Garten spazieren gehen. Dies ist eindeutig der Höhepunkt meines Krapfendaseins. Am Samstagnachmittag spazieren gehen. Am Seerosenteich entlang. Mit Lutz.
»Nymphaea.«
»Aha«, nicke ich. Ja, guck nur her, Welt. Ich muss nicht in irgendwelchen Clubs rumhängen und Männer aufreißen. Ich kann auch am Seerosenteich rumhängen und … und mir die angucken … die Seerosen. »Ich hasse Seerosen.« Und nicht nur die.
Natürlich gibt es auch Momente, wenige, sensible, angsterfüllte, in denen ich weiß, es liegt weder an den Seerosen noch an Lutz. Es gibt schlimmere Gewächse, und es gibt schlimmere Männer. Aber wahrscheinlich gibt es nichts Schlimmeres als mich? Ich bin undankbar, man sollte mich im Seerosenteich ertränken. Lutz scheint solche Augenblicke zu
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