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Banalverkehr - Roman

Banalverkehr - Roman

Titel: Banalverkehr - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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schläfrig werden.«
    Nachdem das Magnesium eine knappe Stunde durch meine Blutbahn gelaufen ist, wird mein Körper ganz schlapp, während mein Geist weiterhin auf Hochtouren läuft. Warum muss ich hier sein? Warum bin ich überhaupt ich? Wieso kann ich nicht wenigstens was Lustiges haben? Wie die Hauptfigur aus Feuchtgebiete . Irgendwas mit dem Arsch. Dann könnte ich zumindest blöde Witze machen. Ich hab den Arsch offen oder so. Oder ich könnte hier sein wegen etwas Sinnvollem. Einer Schenkelspeck-Absaugung. Aber nein, ich bin hier wegen Erbse. Die ich erst gar nicht wollte. Und die ich jetzt will. Allein schon aus Prinzip. Weil sie mir gehört. Meine Erbse. Nur meine.
    Ich glaube, ich nicke ein …
    Schläfrig. Schläfrig, und weg isse.
    Als ich wieder da bin, schreibe ich SMS an meine Eltern, Franzi und vor allem Lene, und frage mich dabei, warum in Krankenhäusern eigentlich Handyverbot herrscht. Vielleicht fangen ein paar Patienten mit Herzschrittmachern an zu tanzen, während ich auf Senden drücke? Wär doch lustig, wenn auf dem Gang plötzlich so eine Art unfreiwilliger Diskopogo ausbrechen würde. Ja, Puppe. So was findest du lustig, und genau deswegen bist du hier. Weil du böse bist und es verdient hast. Scheiße. Alles ist Scheiße. Ja, Scheiße. Nicht Vogelkacke. Einfach nur richtig beschissen Scheiße.
    Den nächsten Tag verbringe ich in einem Zustand völliger Benebelung. Ich sitze auf meinem Bett wie unter einer Glocke, während Mama, Papa und Franzi zu Besuch kommen. Sie sind nett zu mir und sagen, was man halt so sagt. Mut aus der Konserve. Ich wünschte, sie könnten alle hier übernachten. Wir würden Pizza bestellen und uns gegenseitig Geschichten erzählen. Das wäre cool. Aber sie gehen, und ich bleibe alleine. Ohne sie. Ohne Pizza. Ohne Geschichten. Nur mit dieser richtig beschissenen Scheiße und einer blutenden Gebärmutter.
    Am späten Nachmittag kommt Lutz. Bisher hatte er sich nicht getraut, und nun hockt er auf der Bettkante und weint still vor sich hin. Ich weiß nicht, ob wegen Erbse oder mir oder der Gesamtsituation, aber ich frage auch nicht nach. Ich gucke einfach weg, und irgendwann geht er. Danach geht es mir noch schlechter. Am liebsten würde ich ihn anrufen und bitten, wieder zurückzukommen, aber ich weiß, dass, kaum wäre er wieder hier, ich alles tun würde, um ihn loszuwerden. Warum bin ich so? Warum, warum, warum?
    Milchreis!? Milchreis zum Abendessen!!! Mit Zucker und Zimt! Her damit! Instant-Besserung. Milchreis riecht nach Kindheit. Milchreis schmeckt nach Kindheit. Milchreis nimmt mich mit zurück in meine Kindheit. Als alles noch gut war.
    Ich frage die Schwester, ob ich eine Extraportion haben kann. Ich kann, obwohl es in Krankenhäusern wohl nicht üblich ist, dass man Nachschlag bestellt.
    »Wir machen heute mal eine Ausnahme«, sagt die Schwester und zwinkert mir zu, als würde uns dieses Geheimnis nun auf ewig verbinden. Mein Kopf wird langsamer. Er gewöhnt sich an die Bettruhe. Und ich gewöhne mich an den Krankenhaus-Alltag. Das Prinzip ist einfach: Dem Personal geht es in erster Linie darum, den Patienten irgendwie über den Tag zu bringen. Deswegen kommt auch alle halbe Stunde irgendjemand ins Zimmer geflattert wie ein nervöses Huhn und bringt einen Vorwand mit, um zu gucken, ob man noch lebt. Blut abnehmen, Pillen schlucken lassen, Magnesiumflasche wechseln, irgendwas fällt ihnen immer ein. Und wenn keine Schwester kommt, dann zumindest die kroatische Putzfrau, die einem mindestens dreimal den Stiel ihres Mopps gegen den Kopf knallt, oder Dr. Engels, der mitschreibt, wie viel Magnesium schon durch mich durchgeflossen ist. Es sind übrigens 2,5 Liter.
    Mir ist langweilig, also fange ich an, die Butterstückchen zu sammeln, die man zum Frühstück und Abendessen zu den alten Semmeln und der fettigen Wurst bekommt, um sie aus dem Fenster auf die unten parkenden Autos zu werfen. Das finde ich lustig. Oder ich klingele nach der Schwester, und wenn sie kommt, behaupte ich, ich wäre aus Versehen auf den Rufknopf gekommen. Das finde ich auch lustig. Ich bin so furchtbar. Und ich habe jedes Recht dazu, denn ich leide. Um halb sechs kommt ein neues Päckchen Butter.
    Am vierten Tag besucht mich Lene und sagt, dass sie meine SMS erst heute Morgen bekommen hat, sonst wäre sie natürlich früher hier gewesen. Sie sitzt auf einem Stuhl neben meinem Bett, und es sieht aus, als hielte sie eine kleine Melone auf dem Schoß.
    »Wann ist es denn so weit?«
    »Noch

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