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Banalverkehr - Roman

Banalverkehr - Roman

Titel: Banalverkehr - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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füttern « steht auf einem Schild, das an den rostigen Gitterstäben befestigt ist.
    »Oder Klavier.«
    »Die sitzen da in ihrem Käfig und nehmen sich gegenseitig in den Arm, weil sie frieren. Weil es draußen ja nur Kännchen gibt!«, rufe ich. Gedankenbulimie. Alles kreuz- und querdenken und dann raus damit in einem riesigen Schwall Sinnkotze.
    Franzi ist verwirrt. »Hast du mir überhaupt zugehört?«
    »Klar, es ging um ›musikverrückt‹ .«
    »Im Ernst: Warum machst du nicht Musik?«, unterbricht sie mich, vermutlich aus Angst vor der nächsten Gedankenkotzattacke.
    »Weil ich nicht singen kann. Und ein Instrument kann ich auch nicht.«
    »Dann lernst du es halt!«
    »Och nö, kein Bock …«
    »Mein Gott, Puppe«, stöhnt sie. »Es wird sich doch irgendwas finden lassen, womit du dich ein bisschen ablenken kannst. Es ist ja auch egal, was du machst – Hauptsache, es ist was Sinnvolles!«
    »Hihihi …«
    »Was ist so komisch?«
    » Sinnvoll fängt auch mit S an!«
    »Manchmal denke ich, dass du Drogen nimmst, echt.«
    Nachdem Franzi nach Hause gegangen ist, fühle ich mich wieder schlecht, aber mir wird klar, dass sie Recht hat. Ich muss mich ablenken. Ich kann nicht den ganzen Tag nur rumsitzen, Wein trinken und rauchen. Ab. Leng. Kung. Irgendwas. Mit I.
    Kurz denke ich noch darüber nach, ob es wirklich Sinn macht, über etwas nachzudenken, das mich vom Nachdenken abhalten soll, aber dann lasse ich es gut sein und gehe ins Bett.
    Kurzfristiger Selbstmord durch Einschlafen.
    Auch schön.

Kapitel 4 – Retro -16
    Ich wache auf, die Sonne scheint, und mein Körper fühlt sich gut. Ich frage mich, wie das sein kann, immerhin sterbe ich doch gerade. Und wie es am Ende eines Lebens so üblich ist, mache ich Inventur und stelle fest, dass es um die Bestände schlecht bestellt ist. Mama hat gesagt, dass man im Leben manches erleben muss, um zu lernen. Ich weiß nicht, was ich lernen sollte. Ich kann doch leben. Es reicht zumindest, um im Urlaub Alkohol zu bestellen und Männer aufzureißen . Ich lache und wünschte, Franzi wäre hier. Die würde den verstehen … Falls sie nach der dritten Flasche Wein überhaupt noch irgendwas verstehen könnte. Oder mich. Keiner versteht mich. Und deswegen kann ich mich auch nicht umbringen. Weil niemand mich vermissen würde.
    Ich weiß, dass ich früher mal alles richtig gemacht habe. Gut, das war auch nicht schwer, weil ich keine Freunde hatte, die mich auf dumme Ideen hätten bringen können. Ich gehörte in der Schule nicht zu den coolen Kindern und auch nicht zu den uncoolen. Aber eigentlich war das am Schlimmsten: Durchschnitt zu sein, bedeutete, uninteressant zu sein. Meine einzige Freundin war Rotzglocken-Linda. Sie hatte ihren Namen daher, weil sie nie ein Taschentuch, aber immer eine triefende Nase hatte. Aber Rotzglocken-Linda war ein echtes Improvisationstalent und schnäuzte einfach in die Ärmel ihrer Pullover. Und da Rotz je nach Gesundheitszustand von verschiedener Konsistenz und Farbe ist, waren ihre Ärmel manchmal einfach nur nass und manchmal voller gelb-grünem Schleim. Das machte sie schon wieder zu einem coolen uncoolen Kind, und es war mein Glück, dass Linda das selbst nicht bemerkte, sonst hätte sie sich sicher nicht mit mir abgegeben. Wenn sie keine Zeit hatte, verbrachte ich die Nachmittage mit Lernen, machte Zusatzaufgaben und half Mama im Haushalt. Bis ich ein halbes Jahr vor dem Abi meinen ersten Freund hatte und auf den Geschmack von Sex, Alkohol, Zigaretten und Feiern gekommen bin. Vielleicht hätte ich einfach früher anfangen müssen, dann hätte sich das alles besser verteilen können. Ich meine, normale Kinder spinnen ab wann? Ab vierzehn? Ich war schon neunzehn! Mir fehlen fünf Jahre! Fünf! Jahre! Bin ich tatsächlich eine dreißig … neunundzwanzigeinhalb Jahre alte Frau in der Pubertät!? Ich bin erwachsen, aber ich wäre lieber wieder ein Kind. Ich existiere irgendwo dazwischen, zu alt für ein Kind, zu unfähig für eine Erwachsene. Scheiße. Ich denke wieder nur Scheiße. Wahrscheinlich hab ich mir wirklich so eine beschissene Depression eingefangen. Und das als Kassenpatient, mein Gott!
    Ich brauche jemanden, der mir mein Ego pampert. Und zwar ganz dringend. Ich könnte ausgehen und einen Kerl aufreißen … Mist. Geht ja nicht. Es ist Nachmittag, und die Clubs haben zu. Außerdem habe ich zwei Wochen GV-Verbot nach der Ausschabung. Weil es noch blutet, und die Gebärmutter erst wieder verkrusten muss. Total unsexy. Und

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