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Banalverkehr - Roman

Banalverkehr - Roman

Titel: Banalverkehr - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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der paar Klingelstreiche bei den Nachtschwestern?« Dr. Engels sagt nichts. Sein Blick schon.
    »Weil meine Butter Ihr Auto getroffen hat?« Ich weiß eben manchmal einfach nicht, wann Schluss ist. Mit lustig …
    »Wegen des Abgangs«, betont er unnötigerweise noch einmal. »Es ist vielleicht nur ein schwacher Trost, aber das passiert einer von vier Frauen.«
    »Wow, dann bin ich ja nur ein Quotenopfer«, staune ich. »Das macht’s gleich viel besser.«
    »Versuchen Sie, nicht zu viel nachzudenken«, sagt er noch, bevor er aus dem Zimmer geht.
    Tue ich auch nicht. Doch leider wiegt die Realität so schwer, ist so laut und verbeißt sich in mir, beißt mir in den Kopf und in den Arsch, und all das zu ignorieren, würde schon eine gehörige Portion Wahnsinn erfordern. Ich rede ja nicht davon, dass Wahnsinn erstrebenswert wäre, zumindest nicht im Zusammenhang mit Gummizelle, Zwangsjacke und kreativem Töpfern zur Verarbeitung von verdrängten Gefühlen. Nein, gezielt eingesetzter Wahn als Stoßdämpfer zwischen mir und dieser Realität. Puppe, manchmal muss man es eben einfach aussitzen, das passiert einer von vier Frauen. Machen die anderen Quotenopfer eigentlich auch so einen Aufstand? Zusammenreißen, Soldat! Ich bin ein großes Mädchen.
    Trotzdem ist es gut, dass ich nach meiner Entlassung noch eine Woche lang krankgeschrieben bin und mich nur mit der Realität auseinandersetzen muss, die in meinem Kopf tobt, und nicht noch zusätzlich mit der, die draußen vor der Tür stattfindet. Und vor allem ist es gut, dass Mama für diese Zeit kommt und sich um mich kümmert. Sie will mich aufpäppeln, mich mit vielen leckeren Würstchen füttern. Und dann? Es gibt niemanden, der mich will. Bis auf Lutz, aber den will ich nicht. Ich bin ganz alleine, und das geschieht mir recht. Ist ja kein Geheimnis, dass dieses Karma-Ding sehr nachtragend ist.
    »Mama?«, frage ich.
    »Ja?«
    »Glaubst du, dass ich ein schlechter Mensch bin?«
    »Natürlich nicht! Du darfst dir nicht so viele …«
    »Mama?«, frage ich.
    »Ja?«
    »Wusstest du, dass jedes dritte Seepferdchen schwul ist?«
    »Ach, Püppchen …« Und dann fängt sie an zu weinen, weil sie sich Sorgen macht. Also keine Stoßdämpfer-Methode. Ich bemühe mich um ein möglichst normales Benehmen, frage ein paar obligatorische Warums und ob Mama mir Milchreis kochen kann. Das macht sie natürlich. Ich liege auf der Couch oder sitze auf der Terrasse, und es ist ein bisschen wie früher. Ich bin ein Kind, und ich bin krank, und meine Mama macht mir Apfelschnitzchen.
    »Willst du für eine Weile mit nach Hause kommen?«, fragt Mama, nachdem sie mich nun fünf Tage lang umsorgt hat.
    »Nein, ist schon gut. Ich komme klar. Ehrlich.«
    Dann steigt sie in den Zug und fährt wieder heim, während ich am Bahngleis stehe, hinterherwinke und wünschte, sie hätte mich mitgenommen. In der Bahnhofshalle kaufe ich noch einen Kaffee und eine Schachtel Zigaretten und mache mich dann endlich auf den Weg nach Hause. Die Welt dreht sich offensichtlich weiter, Passanten gehen vorbei, und keiner bemerkt, dass ich eine rote Spur hinter mir herziehe. Mein Herz hängt aus meinem Körper heraus und wird blutend über den schmutzigen Asphalt geschleift.
    Zu Hause wartet Langeweile auf mich, und die entpuppt sich als bester Kumpel der Realität. Wo ist das Telefon? Ich brauche dringend Gesellschaft.
    Ich hätte Franzi anrufen sollen.
    Schokoeier-Anekdoten wären jetzt genau das Richtige gewesen, aber irgendein Impuls sorgt dafür, dass ich Lutz’ Nummer wähle, der sich seit dem Besuch im Krankenhaus nicht mehr hatte blicken lassen. Vielleicht geht dieser Impuls von meinem Gewissen aus, denn ich weiß ganz genau, was ich ihm angetan habe.
    »Es tut mir leid«, sage ich und nehme seine Hand, als er eine halbe Stunde später an meinem Küchentisch sitzt. Er sieht schlecht aus. Als hätte er seit Tagen nicht geschlafen.
    »Ich hab seit Tagen nicht geschlafen«, bestätigt er. »Ich hab überhaupt nicht verstanden, warum du mich nicht bei dir haben wolltest. Und ich wäre wirklich gerne für dich da gewesen.«
    »Ich weiß. Und es ist nicht deine Schuld. Es war mein Fehler, Lutz. Alles. Ich wollte etwas anderes, um jeden Preis, aber aus einem Sushi kann man einfach keinen Krapfen machen.« Der logische Aspekt dabei ist mir zwar nicht neu, aber in diesem Moment begreife ich es und will ihn an meiner Erleuchtung teilhaben lassen. »Verstehst du«, beginne ich und marschiere in der Küche auf und ab,

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