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Banalverkehr - Roman

Banalverkehr - Roman

Titel: Banalverkehr - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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gut gelaunt, als sie kurze Zeit später vor der Tür steht.
    »Freakshow, so wie du aussiehst. Wann hast du denn das letzte Mal geduscht?«
    Ich gehe voraus in die Küche, und während Franzi sich an den Tisch setzt, öffne ich die nächste Flasche Wein. Funktionierende Systeme müssen schließlich erhalten bleiben. Siehe Kindheit. »Am Abend, bevor ich ins Krankenhaus musste«, sage ich.
    »Du riechst komisch.« Nach mittlerweile zehn Tagen ohne Wasser und Seife könnte sie damit sogar Recht haben.
    »Ich weiß. Aber du bist ja nicht hier, um an mir zu riechen«, sage ich, hole ihr ein Glas aus dem Schrank und gieße Wein ein, damit sie teilhaben kann am funktionierenden System. »Selbstmord«, lautet die schlichte Anmoderation, als ich mich ihr gegenüber setze.
    Franzi trinkt einen Schluck und schüttelt den Kopf. »Vergiss es.«
    »Wieso?«
    »Weil du dir über die Konsequenzen gar nicht bewusst bist. Du kannst nicht einfach wegrennen, nur weil das Leben dich mal in den Arsch tritt.«
    »In den Arsch fickt «, korrigiere ich. »Ich will ja auch gar nicht wegrennen, ich will weg sein .«
    »Und dann? Du bist weg, schön und gut – und die anderen? Deine Eltern? Deine Freunde?«
    »Meine Freunde? Welche?«
    »Und deine Eltern?«
    Ja, da hat sie natürlich Recht. Aber so weit war ich auch noch gar nicht. Bis jetzt arbeite ich gedanklich noch an der richtigen Methode. Ich will nichts, wobei ich als blutiger Brei ende. Ich will schön sein, wenn ich in meinem Sarg liege. Ich will ein weißes Sommerkleid tragen, und ich will, dass sie mir die Augen dunkel und die Lippen knallrot schminken. Die Haare können wir offen lassen. Ich weiß noch nicht, ob ich sie gerne glatt hätte oder doch lieber Locken.
    »Eigentlich müssten sie mir den Ansatz noch nachfärben«, sage ich gedankenverloren. »Meinst du, diese Leichenstylisten würden das machen? Ich könnte es ja vorher zur Sicherheit aufschreiben. Ach ja, und der Song! Also die Einmarschhymne.«
    »Puppe …«, will Franzi unterbrechen, aber das geht jetzt nicht.
    »Ich dachte an was mit richtig Bums«, sage ich und springe auf meinen Stuhl, werfe die Arme in die Höhe und schwinge die Hüften. Meine Interpretation von Geri Halliwells Look at me . Ich habe kein Talent, aber viel Fantasie. »Wow, geil, Franzi! Und dabei tragen sie meinen offenen Sarg in die Kirche.«
    »Mann, Puppe, jetzt ist genug! Jeder hat Verständnis, dass es dir nach der ganzen Geschichte nicht besonders gut geht.« Nicht besonders gut geht ist schön. »Aber irgendwann musst du dich auch mal wieder zusammenreißen.« Zusammenreißen ist auch schön, um nicht zu sagen, noch viel schöner.
    »Und was ist mit dir? Straßenbahn und so?«
    »Bei uns ist das Tradition, weißt du doch. Jedes Jahr um Weihnachten rum ist ein anderer dran. Dieses Jahr, glaube ich«, sie überlegt kurz und kratzt sich dabei am Kopf, »ich denke, mein Bruder. Meinst du wirklich, ich würde mich umbringen ?« Sie lacht und tippt sich mit dem Finger an die Stirn. »Manchmal tut es ja ganz gut, sich vorzustellen, man könnte einfach weg sein , aber Selbstmord ist keine Therapie, Puppe. Selbstmord ist«, sie beugt sich nach vorn und flüstert: »das Ende .«
    Und dann rät sie mir, mir ein Hobby zu suchen.
    »Am besten nichts mit S: Saufen, Shoppen, Sex, Schwangerschaft – und Selbstmord.«
    »Im Ernst jetzt: was denn für ein Hobby? Meinst du so was wie Basteln mit Filz oder Obstschalen bemalen?«
    »Na ja … ja! Vielleicht gibt es etwas, was du schon länger mal machen wolltest? Fang doch mit Yoga an! Oder mach einen Sprachkurs! Spanisch zum Beispiel. Würde voll zu dir passen.«
    »Ich kann Spanisch. Zumindest das, was man braucht, um im Urlaub Alkohol zu bestellen und Männer aufzureißen. Und Yoga ist doch total langweilig.« Ich stehe auf, stelle mich auf ein Bein und falte die Hände über dem Kopf. »Ich bin ein Baum!«, rufe ich und lache, aber Franzi geht nicht darauf ein. Ich glaube wirklich, ich sollte langsam einen neuen Gagschreiber einstellen.
    »Was ist denn zum Beispiel mit Musik? Du bist doch so musikverrückt.«
    » Musikverrückt «, wiederhole ich andächtig. Was für ein geiles Wort! Saß bestimmt seit Ende der sechziger Jahre ganz verängstigt in irgendeiner Mottenkiste, bis Franzi kam und es befreite.
    »Du könntest ein Instrument lernen.«
    Oder es sitzt zusammengepfercht mit anderen fast toten Wörtern in einem großen Käfig.
    »Gitarre zum Beispiel.«
    » Vom Aussterben bedrohte Wörter bitte nicht

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