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Banalverkehr - Roman

Banalverkehr - Roman

Titel: Banalverkehr - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Ekel und Mitleid fragt, was ich da tue.
    »Is was?«, pöbele ich kaum verständlich und spucke ihm aus Versehen ein paar eingespeichelte Krümel hinterher. Ich spare mir den »Penner«, damit ich genügend Platz habe für Rum-Traube-Nuss mit 60 % Kakaoanteil.
    Zu Hause lasse ich als Erstes die Rollläden runter. Es muss dunkel sein.
    Es dauert ungefähr zwei Stunden, um voll und anschließend wieder leer zu sein, und als ich fertig bin, wasche ich mir das Gesicht und ziehe die Rollläden wieder hoch. Mittlerweile ist es auch draußen dunkel geworden. Ich nehme das Ultraschallbild von Erbse und vergrabe es mit bloßen Händen unter dem Fliederstrauch im Garten. Gute Nacht, Erbse. Du musst jetzt endlich schlafen.
    Am nächsten Morgen gehe ich wieder in die Agentur und mache an der Bikinikampagne weiter, als wäre nichts passiert.
    »Wo ist Lutz?«, frage ich, als Franzi am Vormittag eine zerknautschte Bäckertüte aus ihrer Tasche zieht und anfängt, an einer Brezel zu knabbern.
    »Der hat Urlaub genommen.«
    »Ach so.« Ich überlege, ob ich Lutz am Abend anrufen soll, aber wahrscheinlich ist es besser, wenn er erst mal seine Ruhe hat. Und außerdem: Was soll ich ihm sagen? Alles, was ich sagen könnte, hat er beim letzten Mal schon gehört.
    Gereicht hat es ihm aber scheinbar nicht, denn als ich nach Feierabend nach Hause komme, wartet er schon vor der Tür.
    »Hallo«, sage ich und vermeide es, ihm in die Augen zu schauen. Er läuft still hinter mir her in die Wohnung. Wir setzen uns auf die Couch und schweigen weiter, bis er sagt: »Du hättest mich fragen sollen.«
    »Was meinst du?«
    »Du hättest mich fragen sollen, ob ich das auch will. Ob du das darfst. Ob du meine Welt auf den Kopf stellen kannst – aus einer Schnapslaune heraus!«
    »Lutz, bitte«, sage ich. Schnapslaune . Das ist reine Provokation.
    »Nein! Du hättest mich fragen müssen !«, provoziert er weiter.
    Es beginnt zu kochen, es ist der Siedepunkt, Wut steigt nach oben, und wenn nicht schnell einer den Topf vom Herd nimmt, dann gibt es hier gleich eine Riesensauerei, Freunde!
    »Das hättest du wirklich tun müssen!« Pro. Vo. Ka. Tion.
    Ich stehe auf und gehe zum Fenster. Keine Ahnung, warum. Vielleicht, um zu gucken, ob ich dort noch genauso wütend bin. Oder um Zeit zum Nachdenken zu haben. Ich drehe mich zu ihm um und schwanke ein paar Sekunden lang zwischen einer weiteren Entschuldigung und Angriff. Ich weiß, dass er Recht hat, also entscheide ich mich für Angriff.
    »Lutz, das ist endlos! Hat man mich gefragt, ob ich gerne schwanger sein möchte? Hat man mich gefragt, ob ich gerne nicht mehr schwanger sein möchte? Hat jemand die Sonne gefragt, ob sie Bock hat, heute zu scheinen? Hat der Metzger das Schwein gefragt, ob es gern ein Schinken wäre? Nein! Ich sag dir was, Lutz: Wer fragt, bekommt immer die falsche Antwort! Also fragt man nicht!«
    Lutz starrt mich einen Moment lang fassungslos an, dann lässt er den Kopf hängen und sagt leise: »Es war doch auch mein Kind.«
    Schon wieder eine schallende Ohrfeige, und es wäre mir immer noch lieber, er würde mir wirklich eine knallen, anstatt mich jedesmal auf diese Psychoart niederzuknüppeln.
    »Hör zu, Lutz«, sage ich so ruhig wie möglich, »ich könnte mich noch hundertmal bei dir entschuldigen. Genauso, wie der Metzger sich hundertmal beim Schinken entschuldigen kann. Trotzdem wird kein Schwein mehr draus.«
    Ja, ich war ein Arschloch. Ja, ich habe ihm wehgetan, ihm das Herz gebrochen. Ich weiß es, und es tut mir unendlich leid. Aber was soll ich denn machen? Ich kann die Zeit nicht zurückdrehen. Ich würde es tun, sofort: Lene erlauben, ihr eigenes, neues Leben zu führen. Mich nicht benehmen wie ein gestörter Vollidiot und vor allem Lutz da nicht mit hineinziehen.
    Lutz nickt und schaut traurig zu Boden. Denn ich habe ihm, nur weil ich ehrlich war, noch einmal das Herz gebrochen. Aber ich kann jetzt einfach nicht mehr. Ich kann mich nicht noch mal erklären und hoffen, dass ich diesmal die richtigen Worte finde. Ich. Kann. Einfach. Nicht. Mehr.
    »Wir müssen jemanden zur Verstärkung einstellen«, sagt Otto, kurz nachdem ich wieder im Einsatz bin. Falls ich irgendwann mal wieder ausfallen sollte, was er natürlich nicht hofft, Gott bewahre, aber Pferde kotzen vor der Apotheke und so weiter. Auf jeden Fall soll ich bei den Vorstellungsgesprächen dabei sein. Das bin ich. Von Zuhören war nie die Rede, deswegen tue ich es auch nicht und finde jeden Kandidaten »schon

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