Banalverkehr - Roman
wollte ja scheinbar gar nicht, dass ich komme, sonst hätte er doch auf meine Nachrichten reagiert!? Aber ich muss doch hier sein! Muss! Muss! Muss! Und Edo wird sich freuen! Er wird mich dafür lieben, dass ich gekommen bin! Lieben! Noch mehr lieben. Anfangen mich zu … Wie auch immer, gestern, das war ein Missverständnis, nur ein Missverständnis! Und heute Nachmittag wollte er sich bei mir entschuldigen, ist doch klar! Und ich dummes Vieh krieche unter den Tisch, haha. Stopp! Ruhig atmen. Alles ist gut und sogar noch besser. Ich sauge so viel kühle Abendluft in mich hinein wie nur möglich, halte sie für einen Moment in meinen Lungen, damit sie wirken kann und puste sie dann wieder aus. Okay, dann suche ich nach der richtigen Klingel und gerade, als ich drücken will, beginnt mein Handy zu summen. Es ist Edos Nummer!
»Edo!«
»Na, Puppe? Ich hab grad deine SMS en gesehen. Wo bist du?«
»Ich … äh, bei dir. Ich wollte eben klingeln.«
»Echt? Das ist blöd.«
Oh nein, es ist blöd! Ich bin so blöd! Ich möchte sterben, ste-he-he-herben.
Ach nee, doch nicht, gut, sehr gut, es ist nämlich nur blöd, weil Edo gar nicht da ist, sondern in Hamburg, wo er ein langes Wochenende verbringt. Er sagt, dass er mir davon eigentlich schon im Büro erzählen wollte, aber ich sei irgendwie nicht da gewesen. Er hätte es toll gefunden, wenn ich ihn zum Flughafen gefahren hätte, und wenn er mich noch mal hätte küssen können, aber so sei das halt.
»Ja, so ist das dann wohl«, sage ich traurig und wünsche ihm ein schönes Wochenende. Er wollte mich am Flughafen küssen. Vielleicht hätte er mich sogar gefragt, ob ich mitkommen will.
»Wünsch ich dir auch. Und pass auf dich auf.«
»Das mach ich, Edo«, sage ich, aber da hat er schon aufgelegt.
Edo will mich, und ich sollte mich freuen. Tue ich aber nicht. Weil es mir nichts nützt, dass er mich will, wenn er nicht da ist. Ich fahre also nach Hause und weiß nicht, was ich mit mir anfangen soll. Ohne Edo. Der mich will, aber nicht da ist. Scheiße. Es wäre spät genug, um ins Bett zu gehen, aber in meinem Kopf arbeitet es unaufhörlich. Ich denke an Edo. Natürlich. An nichts anderes. Ich vermisse ihn so sehr, dass ich weinen muss. Sogar in echt, denn es ist ja niemand da, dessen Sympathie ich mir erheulen könnte. Ich bin so alleine. Edo, ich vermisse dich!
Ich hole die Decke, die wir bei unserem Ausflug an den See dabeihatten, breite sie in der Mitte des Wohnzimmers aus und lege mich bäuchlings darauf. Ich schnüffle daran, weil ich hoffe, dass sie noch nach ihm riecht, nach Jil Sander und Tabak, aber sie riecht nur nach Wiese. Ich lege mich auf den Rücken und versuche, mich zurück an den See zu denken. Mit Edo.
Doch es klappt nicht. Im Kühlschrank findet sich noch eine alte Flasche Gin. Keine Ahnung, wie lange die da schon drinliegt, aber das ist auch egal. Ich verdünne mein Blut mit Alkohol und lege mich zum Schlafen auf die Seedecke. Eeeeedo-hooooo!
Gegen fünf Uhr am Morgen schieße ich kerzengerade nach oben. Ich weiß, was ich zu tun habe! Die Erleuchtung kam im Schlaf oder im Promillerausch, wen interessiert’s, denn: Ich! Weiß! Was! Ich! Zu! Tun! Habe!
Eine Stunde später stehe ich am Straßenrand und halte meinen Daumen hoch. Ein alter Mann hält an und freut sich über die optische Aufwertung für seinen klapprigen Volvo. Die Fahrt ist so beschissen lang, und ich langweile mich, deswegen erzähle ich von Edo und dass ich glaube, mich zum ersten Mal richtig verliebt zu haben.
»Was? Wie alt sind Sie denn, wenn ich fragen darf?«
Bis dreißig sollte man sich ja bekanntlich ein Haus, einen Sohn und ein paar Bäume angeschafft haben, deswegen versuche ich diese Frage grundsätzlich eher zu umgehen. »Kurz nach neunundzwanzig dreiviertel.«
»Was? Und Sie waren noch nie verliebt?« Was? Was? Schwerhörig oder wie? Blöder Rentner.
»Natürlich war ich schon mal verliebt«, sage ich empört. »In Daniel Koslowski aus dem Tanzkurs. Zumindest ein bisschen. Aber heute würde ich den nicht mehr wollen. Sein Hund hat nur ein Ei, wissen Sie. Und dann gab es noch jemanden. Er hieß, oder nennen wir ihn einfach Arsche-Locke. Das ist schon okay, den Namen hat er sich quasi selbst gegeben, denn er war Italiener und ab einem bestimmten Zeitpunkt sagte er immer: »Stell mick nixe immer hien wie eine Arsche-Locke.« Es war allerdings ein bisschen schwierig, das nicht zu tun, denn er hat mich erst entjungfert und dann monatelang mit seiner Exfreundin
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