Banalverkehr - Roman
Morgen so sauer auf ihn war. Er will doch nur mein Bestes. Und sein Verhalten ist nicht abweisend, er will mir damit zeigen, dass das mit uns etwas Besonderes ist. Ach, Edo … Ich glaube, ich liebe dich. Wieder. Und noch viel, viel mehr als vorher.
»Und wie läuft’s mit dem Jil-Sander-Typen?«, unterbricht Itsy das Streichquartett, das in mir spielt, seitdem ich Edo in Gedanken wieder lieben kann.
»Er heißt Edo«, sage ich. Sie soll ruhig merken, dass es mir nicht um Fleisch geht, während die Streicher einen neuen Einsatz proben.
»Ja, und?«
»Er ist toll.«
Und ich bin ein Riesenidiot. »Bitte gib mir deine Adresse!«, schreibe ich in die SMS , die ich unverzüglich an ihn schicke. Ich muss sofort zu ihm, mich entschuldigen und bei ihm sein.
»Klingt ja wahnsinnig aufregend«, nölt Itsy und würde es im Leben nicht verstehen, weil es ein Gefühl voraussetzt, vor dem sie sich fürchtet, und weil sie sich eher ins Koma saufen und totficken würde. Was hätte ich gegeben, an unserem ersten Abend, wenn ich Teil dieses wunderbaren, schmerzlosen Nichts hätte sein können. Und heute? Da tut sie mir leid. Während ich auf eine Antwort von Edo warte, begleite ich sie auf die Damentoilette. Sie schließt die Kabine hinter uns ab und holt eine kleine silberne Kugel aus ihrem Louis-Vuitton-Täschchen. Die hat ihr der Typ geschenkt, der dafür zahlt, dass man es mit ihm macht, wenn man seine Tage hat. Also die Tasche. Woher sie das Koks hat, sagt sie nicht, aber ich will es auch gar nicht wissen. Vorsichtig baut sie zwei ordentliche Linien auf den Klodeckel, rollt ein Ticket aus dem Parkautomaten zusammen und zieht sich das weiße Pulver durch die Nase.
»Hier«, sagt sie und gibt mir das Röllchen.
Ich schüttele den Kopf. »Das ist nichts für mich.«
»Wieso muss man dich eigentlich immer überreden?«, fragt sie lächelnd.
»Wahrscheinlich mache ich den Eindruck, als sei ich leicht zu überreden«, stelle ich sachlich fest. Zumindest war ich es, bevor Edo kam. Edo, bitte antworte doch endlich!
»Also, nee?«
»Genau: nee«, sage ich und denke, Edo wäre stolz auf mich. Ich sage nein. Das ist so ein gutes Gefühl, dass ich kurzfristig überlege, ob ich mir aus Itsys Silberpapier eine kleine Krone basteln könnte. God save the Queen! Mein neues Leben ist so toll, so selbstbestimmt, so voller Erleuchtung.
»Dann nicht«, murrt Itsy und zieht sich auch noch die andere Linie durch die Nase. Ich gucke zu und dann auf mein Handy. Immer noch nichts. Hoffentlich ist ihm nichts passiert!?
»Jetzt hat die Mutti Bock auf Nachtisch. O ja, und zwar Waffeln!«, ruft Itsy und wischt sich ein bisschen weißen Staub von der Nase. »Mit Puderzucker!« Und dann lacht sie. Sie lacht. Und lacht. Und lacht so lange, bis man uns die Waffeln serviert. Ganze dreiundzwanzig Minuten lang. Am Stück. Während wir essen, erzählt sie nochmal von ihrem Latino, den anderen Bedeutungslosen und ihrem neuen Chef. Ich sage ihr nicht, dass ich die Geschichte schon kenne. Und nicht nur, weil sie sie vor einer halben Stunde schon mal erzählt hat. Meine Gedanken kreisen um Edo, so schnell, dass ich beinahe einen Drehwurm bekomme. »Bitte melde dich doch!«, schreibe ich ihm, während Itsy sagt, dass sie ihrem Chef dann im Fall des Falles den Sargdeckel zumachen müsse, weil sie ja schließlich seine Privatsekretärin sei.
Ich muss zu ihm. Ich fühle einen Drang in mir, einen Druck, eine unerträgliche Nervosität, wie sonst nur, wenn sich ein Fressanfall anbahnt … Edo … Wenn ich nur wüsste, wo er wohnt.
»Itsy, ich muss sofort weg!«, rufe ich fast panisch und springe von meinem Stuhl auf. Itsy stöhnt und denkt vermutlich, ich wolle wieder überredet werden. Ich höre ihre Stimme hinter mir und wie sie verschiedene Möglichkeiten der Abendgestaltung formuliert, immer leiser, immer weiter weg, bis ich schließlich die Eingangstür zum Steakhouse von außen zumache, während Itsy vermutlich dem leeren Platz ihr gegenüber erzählt, welche Location an einem Donnerstagabend die schärfsten Latinos zu bieten hat.
Muss. Zu. Edo.
Ich fahre mit dem Taxi zur Agentur, haste hinein und suche in der Personalkartei seine Adresse heraus, dann weiter zu seiner Wohnung. Als ich ankomme, bin ich so nervös, dass ich für einen Augenblick hyperventiliere. Wie Franzi bei der Aussicht auf Tortellini in Sahnesoße. Ich stehe vor der Haustür und fächere mir mit beiden Händen Luft zu. Hoffentlich findet er nicht blöd, dass ich ihn überrasche. Er
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