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Banalverkehr - Roman

Banalverkehr - Roman

Titel: Banalverkehr - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Wenn ich nur daran denke, wie wunderbar zeitlupig diese Küsse waren … Hornhaut! Jetz t!
    »Okay«, sage ich zu Franzi und kann jetzt endlich produktiv werden. Dabei hilft es ungemein, dass ich Edo heute noch nicht gesehen habe. Nicht, weil er nicht da wäre, sondern weil ich mich, jedes Mal, wenn ich seine Stimme höre, hinter Franzi verstecke.
    Sie sagt ständig, sie müsse abnehmen, aber das sollte ich ihr dringend ausreden, ihr Kreuz ist als Sichtschutz wie für mich gemacht.
    Dann höre ich ihn plötzlich auf dem Flur. »Ich komme gleich. Muss nochmal kurz in den Projektraum …« und ducke mich unter den Tisch. Franzi und ich sind nämlich im Projektraum, aber das war ja jetzt irgendwie klar.
    »Puppe heute nicht da?«, kommt es nun aus Richtung der Tür. Es heißt: Ist Puppe heute nicht da , du Idiot.
    »Nö, weiß auch nicht«, sagt Franzi.
    »Du arbeitest doch mit ihr?«
    »Ja, aber sie ist kurz weg. Meeting, glaube ich.«
    »Er ist weg«, sagt Franzi und schaut unter den Tisch. Ich krieche hervor und bedanke mich.
    »Hat das einen Grund?«
    »Was?«
    »Äh, dass du dich versteckst, natürlich!«
    »Nö, wieso?« Ich zupfe in aller Ruhe meinen Rock zurecht, während Franzi mich mustert, als würde sie noch etwas erwarten. »Äh …« Ich glaube, wir könnten hier noch sehr lange so stehen, ich würde zupfen, und sie würde etwas erwarten. Wir stecken also fest. »Sag mal, hast du eigentlich mal wieder was von deinem Exfreund gehört?«, frage ich dann, scheinbar ohne Zusammenhang, Sinn und Logik, und sie fühlt sich prompt dazu animiert, ausführlich über Schokoeier zu referieren, und so hat es, wenn schon keinen Zusammenhang, zumindest Sinn und Logik. Denn als sie fertig ist, erinnert sie sich natürlich nicht mehr daran, dass sie eigentlich wissen wollte, warum ich vorhin zum fünften Mal unter den Tisch gekrochen bin.
    Nach Feierabend sitze ich mit Itsy im Steakhouse und esse blutige Hüfte. Ich bin nicht ihretwegen hier oder weil ich Hunger hätte, sondern weil ich mich in den Gedanken verliebt habe, dass Edo bestimmt nicht toll fände, dass ich mich mit ihr treffe. Hätte sie mich nicht zum Ausgehen überredet, hätte ich nicht mit meinem nackten Arsch auf diesem Waschbecken gesessen. Oder um es mit Edos Worten auszudrücken: Ich hätte mich nicht mit einem wildfremden Mann eingelassen. Wüsste er, dass ich hier bin, er hätte bestimmt Angst, dass ich wieder was Schlimmes mache. Ja, ja, der Plan hakt natürlich, weil er eben nichts davon weiß. Aber in einer anderen parallelen Welt würde ich ihm jetzt eine SMS schreiben, er würde zehn Minuten später hier reinstürmen und mich anflehen, mich von Itsy und damit auch von der dunklen Seite fernzuhalten. Ich bin dein Retter, Puppe , höre ich ihn mit Darth-Vader-Stimme sagen und muss lachen. Während ich beobachte, wie sich der rote See aus Rinderblut auf meinem Teller ausweitet und schließlich auch den Spinat und die Kartoffeln einfärbt, erzählt Itsy vom Schwanz eines erst Anfang zwanzigjährigen Latinos, in den sie sich verliebt hat (also in den Latino, nicht in den Schwanz, obwohl die beiden ja irgendwie auch zusammenhängen) und von den Schwänzen einiger anderer Männer in unserem Alter, in die sie sich zwar nie verlieben könnte, weil sie keine Latinos sind, aber zum Abbau der unersättlichen Libido dennoch zu gebrauchen, da sie zumindest aussehen wie Brad Pitt oder Johnny Depp. Und sie erzählt von dem reichen Geschäftsmann, für den sie nun als Privatsekretärin arbeitet. Seinen Schwanz hat sie aber, wie sie schwört, noch nicht live und in Fleisch-Farbe gesehen, denn mit Mitte vierzig liegt er ja quasi schon im Sarg. Es fehlt nur noch jemand, der den Deckel zumacht, und wenn es so weit ist, wäre das wohl ihre Aufgabe, weil sie schließlich seine Privatsekretärin ist … Ich höre zu und irgendwie auch nicht, denn die Geschichten sind leer und austauschbar. Schwänze, rohes Fleisch, Blut auf dem Teller, Menschen, die noch nicht einmal Namen haben. Kein Tag am See, keine Fahrt im Cabrio, Itsy, die nicht fragt, wie es mir geht, und die ich auch nicht frage, wie es ihr geht , sondern was sie so treibt . Heute treffe ich sie zum fünften oder sechsten Mal, ich kenne sie seit ungefähr einem Monat, und es ist klar, dass es in einem Jahr immer noch dieselben Geschichten wären, die ich hören würde. Oder in einem Jahrzehnt. Und ich fände sie toll, hätte ich nicht Edo kennengelernt. Plötzlich tut es mir schrecklich leid, dass ich heute

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