Banalverkehr - Roman
Kartoffelecke in den Mund und kaut. »Ich weiß nicht, was du meinst.«
»Doch, tust du.«
Wir sind ganz nah dran, die Karten aufzudecken. Und ich glaube, ich würde sogar sehen wollen. In den letzten Wochen bin ich mutiger geworden, denn alles, was ich nicht verkrafte, könnte ich später Edo erzählen, der es für mich verkraften würde. Ich wäre also bereit. Pokerface. Itsy sagt nichts. Sie kaut an ihren Kartoffelecken und wirft mir irgendwann ein gelangweiltes »du bist fad« über den Tisch. Ich denke sofort an Teig, der in altem Fett frittiert wird.
»Und sonst so?«, fragt sie schließlich, und wir reden ein bisschen über den Sommerschlussverkauf. Jetzt will sie nicht mehr, denke ich. Vielleicht, weil sie weiß, dass es definitiv einen Edo gibt, der definitiv immer vor ihr kommen würde. Wir sind nicht mehr gleich, denn sie ist alleine, und ich bin zwei.
»So eine kleine, orangene Ausgehtasche von Guess, minus sechzig Prozent, das sind immer noch über fünfzig Euro. Ich sag’s dir, da muss ich echt mal überlegen, wer mir die schenken könnte.«
»Hast du nicht zufällig deine Tage?«, lache ich.
Es ist das letzte Mal, dass wir im Steakhouse sind.
Früh am nächsten Morgen fahren Edo und ich in die Notaufnahme.
Itsys Gesicht ist geschwollen, ihre Lippe aufgeplatzt, das linke Augenlid hängt schlapp herunter, und ihr Hals sieht aus, als hätte ein Monster sie gewürgt.
»Was ist passiert?«, frage ich, als ich mich an ihr Bett setze und vorsichtig ihre Hand streichele. Itsy schüttelt den Kopf und starrt apathisch aus dem Fenster.
»Sie ist gestern auf dem Heimweg überfallen worden. Er hat ihr die Zähne eingeschlagen«, sagt ihre Mutter, die auf der anderen Seite des Bettes sitzt, und seit wir da sind, still vor sich hingeweint hat. Edo lehnt an der hässlich grauen Wand und spielt mit seinem Handy. Er und Itsy sehen sich heute zum ersten Mal, und es ist kein guter Tag für ein Kennenlernen. Es ist überhaupt kein guter Tag. Für irgendwas. Eine gute Stunde vergeht, und keiner weiß, was er sagen soll. Ich glaube nicht, dass sie überfallen worden ist. Ich glaube, es war das Geburtstagskind. Dieses Schweigen ist erdrückend. Diese ganze Umgebung. Und eine Itsy, die all ihren Glanz verloren hat. Ich sage ihr, dass ich sie bald wieder besuchen komme, als wir gehen. Sie nickt und sagt nicht einmal etwas Belangloses.
»Das hättest du sein können, die da liegt«, sagt Edo, als wir im Auto sitzen und zur Arbeit fahren. Es ist unnötig, das zu sagen. Ich denke an Itsy und frage mich, wie es abgelaufen ist … Ob es ein Spiel war, bei dem plötzlich und unerwartet die Regeln gebrochen worden sind. Oder ob sie von Anfang an gar nicht mitspielen wollte. Ich habe sie noch nie so gesehen. Ohne Make-up, ohne Leben, so blass und kaputt.
Ich habe Angst. Um Itsy. Und weil ich weiß, dass Edo Recht hat. Ich könnte da liegen. Ohne Make-up, ohne Leben, so blass und kaputt. Ich habe so viel Angst, dass ich ganz fiebrig werde.
Prompt versaue ich das Meeting mit einem Süßwarenhersteller, dem ich eine Idee für seine Fruchtgummis verkaufen soll. Sie heißen Schoko Tropi Drops . Ich nenne sie »Schoki Doofi Drops« und merke es nicht. Als ich darauf angesprochen werde, der Kunde not amused, explodiert mein Kopf, und die wirrsten Gedanken und Argumente schießen durch den Raum. Eine Form der Selbstverteidigung. Die am liebsten gewählte. Alles auf andere schieben: »Ist doch ein Wahnsinn, was manche Leute auf ihre Produkte draufschreiben! Das kann sich doch keiner merken! So ein Schwachsinn! Wie auf meiner Zahnpasta: Da steht: Tube auf den Kopf stellen drauf. Wie soll ich denn mit einer Tube auf dem Kopf Zähne putzen? Ihr seid doch alle irre! Irre!«
Nach einer halben Stunde hat der Kunde die Präsentation beendet, und ich sitze in Ottos Büro, der wissen will, ob ich jetzt durchdrehe. Ich glaube schon, aber nicht, dass es gut wäre, das Otto gegenüber zuzugeben. Ich versuche alles auf den Kunden und den blöden Produktnamen zu schieben, merke aber selber, dass meine Argumentation jeglichen Sinns entbehrt. Also heule ich, erzähle Otto von Itsy und bekomme den Rest des Tages frei, damit ich sie noch mal besuchen und mich beruhigen kann. Und ich frage ihn, ob er Edo mit mir mitschicken könne, und mache es damit wohl amtlich. Otto kann die rechte Augenbraue hochziehen, ohne dass die linke sich nur einen Millimeter bewegt. Das habe ich auch schon ganz oft vor dem Spiegel geübt, aber niemals
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