Banalverkehr - Roman
dem Krankenhaus abholen könnte. Natürlich hatte er Recht, aber sie hatte am Telefon so darum gefleht, dass ich komme. Ich konnte ihn schließlich überreden, musste aber versprechen, dass ich mich nicht wieder so kindisch in die ganze Geschichte reinsteigere. Ein gewagtes Versprechen, das ist mir sofort klar, als ich Itsy sehe. Zwar ist ihr Gesicht nicht mehr blau, aber immer noch angeschwollen. Blass ist sie auch noch. Und nicht angemalt. Nächste Woche hat sie einen Termin bei einem Zahnprofi, der dafür sorgen soll, dass sie wieder richtig lachen kann.
»Wenigstens hab ich abgenommen, wo ich doch nichts fressen konnte«, sagt sie und lächelt nur so weit, dass man nicht sieht, wo ihr Zähne fehlen. Edo und ich schauen uns an. Ich würde gerne etwas sagen, aber ich weiß nicht, was. Ich wünschte, ich hätte einen Flachmann dabei.
»Hey, Leute!«, ruft sie vom Rücksitz zu uns nach vorne. »Was ist denn das für eine Stimmung hier? Ihr tut ja so, als hätte man euch verkloppt!« Und dann lacht sie. Und lacht. So lange, bis Edo sie unterbricht. Ganze elf Minuten lang. Am Stück.
»Wo fahren wir denn jetzt hin? Willst du erst mal nach Hause?«, fragt er.
»Nö, lass uns zu Puppe fahren. Zu Hause nervt nur meine Mutter, dass ich ihr endlich erzählen soll, wie das passiert ist, und da hab ich echt keinen Bock drauf.«
»Okay«, sagt Edo und ich bin froh, dass wenigstens er mit ihr sprechen kann. Ich glaube, ich werde mir zu Weihnachten einen wünschen. Also einen Flachmann.
»Muschiii!«, kreischt Itsy, als wir in meine Wohnung kommen. Muschi rennt weg. Itsy hinterher. Durch die ganze Wohnung, bis Muschi sich schließlich unter meinem Bett verkriecht. Itsy zuckt mit den Schultern. Wie so oft. Schulterzucken, lächeln, weitermachen.
»Komisches Vieh. Ich hab Hunger!« Sie läuft ins Wohnzimmer und wirft sich der Länge nach auf die Couch, als wäre sie schon hundertmal hier gewesen. Ist sie aber nicht. Heute ist das erste Mal. Und Muschi kennt sie nur aus Erzählungen, aus belanglosen natürlich. Edo und ich folgen ihr ins Wohnzimmer, und ich setze mich neben sie auf die Armlehne.
»Okay. Was würdest du denn gerne essen?«, fragt Edo, während Itsy sich die Schuhe mit den Füßen abstreift und sich auf dem Sofa streckt, als wäre sie gerade aus einem langen, erholsamen Schlaf erwacht. »Sushi!«
Edo nickt. »Ja, dann, soll ich was holen?«
»Ach, das wär super, Edi. Und bring ganz viel Sojasoße mit!« Edo verspricht, sein Bestes zu tun, gibt mir einen Kuss zum Abschied und geht. Der Kuss ist natürlich nicht zeitlupig – nicht vor Itsy und nicht in dieser Situation. Aber es ist ein Kuss. Von Edo.
»So«, sagt Itsy, nachdem die Wohnungstür ins Schloss gefallen ist, und ihre Stimme klingt beinahe fröhlich. »Willst du wissen, was passiert ist?«
Jetzt sind wir an einem Punkt, an dem wir schon in Manchester hätten sein können. Ich wünschte wirklich, ich könnte mir die Ohren zuhalten und ein albernes Lied singen, während sie erzählt. Egal, was kommt, es ist Itsys Geschichte und nicht deine, Puppe! Durchatmen.
»Ja«, sage ich schüchtern und werde ihr also zuhören, ob ich will oder nicht, denn ich weiß, sie würde es niemand anderem erzählen.
»Also, stell dir vor«, beginnt sie, und anfangs hört es sich an, als würde sie von einem Schulausflug berichten. »Ich komme auf diese Party und gratuliere dem Geburtstagskind. Wir trinken ein bisschen was, dann nehmen wir auch ein bisschen was, nicht dramatisch so weit. Und dann fragt er, was ich ihm eigentlich zum Geburtstag schenken würde. Ich so: ›Sorry, hab leider nichts zum Auspacken für dich.‹ Und er: ›Na, dann darf ich vielleicht dich auspacken?‹«
Ich stelle es mir vor …
… und plötzlich bin ich Itsy, oder Itsy ist ich. Ich kämpfe dagegen an. Es ist nicht meine Geschichte! Aber dann ist sie es irgendwie doch, und ich sehe mich, wie ich mit ihm in den Keller gehe. Ich weiß, was gleich passieren wird, und das ist okay. Ich hab damit gerechnet, ich hab es geplant oder wie auch immer. Ich will es. Wir liegen auf einer alten, ausrangierten Couch, knutschen und fummeln. Er kann es kaum erwarten, seine Finger zittern nervös, als er sie in meinen Slip schiebt, und ich spüre einen leichten Schmerz. Und dann habe ich sie im Mund, seine Finger, und schmecke mich selbst. Mit der freien Hand macht er sich die Hose auf. Er fragt, ob es ein bisschen härter sein darf, und ich sage: »Wenn es nicht hart ist, ist es schlechter Sex.« Das
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