Banalverkehr - Roman
und … hach, mein Edo. Egal, was er sagen oder tun würde, egal, wie sehr es mich verletzen würde, ich müsste ihm nur einmal in seine strahlenden, lachenden Augen schauen und wüsste, dass ich ihn wirklich liebe. Weil er so anders ist als ich, so frei, so ungezwungen und irgendwie geerdet. Weil er jemand ist, der alleine klarkommt, der sogar ab und zu alleine sein will . Jemand, der sein Leben im Griff hat. Und dabei immer umwerfend aussieht. Seine bloße Gegenwart macht mich zu einem besseren Menschen, der sein altes Selbst nur noch mitleidig belächeln kann. Ich brauche das alles nicht mehr. Das Fressen, das Kotzen. Gut, mit dem Trinken ist es anders. Aber ich trinke nicht mehr einfach so, sondern nur noch, wenn ich weiß, dass Edo gleich kommt. Damit ich lustig für ihn sein kann.
Und natürlich bin ich ihm treu. Sogar im Kopf. Und das scheint wohl die größte Überraschung zu sein. Der Mann, der Dreiundvierzigjährige, mit dem ich über Jahre eine Affäre hatte, schreibt: »Wann kommst du mal wieder vorbei?« Aber mein neues Ich muss darauf nicht antworten. Geschweige denn mal wieder vorbeigehen. Auch, wenn er, als ich nicht reagiere, »blöde Kuh« schreibt. Darauf muss ich schon dreimal nicht antworten.
Was ihn scheinbar irritiert, denn eines Abends steht er vor meiner Tür.
»Was ist denn los mit dir?«, fragt er und drängt sich unaufgefordert in die Wohnung.
»Komm doch rein«, sage ich noch, weil man das eben so sagt, und folge ihm in die Küche. Er setzt sich an den Tisch und bestellt ein Bier. »Diana und ich haben Schluss gemacht. Du könntest mir einen blasen. Zum Trost.«
»Wer ist Diana?«, frage ich und hole ihm das Bier aus dem Kühlschrank.
»Der Sheriff.«
Ich staune, denn es ist das erste Mal, dass er ihren richtigen Namen genannt hat.
»Was ist jetzt mit Blasen?«
»Geht nicht. Edo kommt gleich.«
»Wer ist Edo?«
»Der Sheriff«, sage ich, ohne es so zu meinen, aber um sicherzugehen, dass er es versteht.
»Du?«, fragt er und lacht mich aus.
Ich zucke mit den Schultern und bin irgendwie beleidigt. »Warum nicht?«
»Wenn du meinst. Trotzdem kannst du mir einen blasen.«
»Das geht nicht.«
»Wieso? Wann kommt er denn?«
»Nicht deswegen«, sage ich, aber ich bin froh, dass es klingelt.
»Edo«, stellt er sich vor und reicht meinem ehemaligen Spielkameraden die Hand.
»Ich war auch schon mit ihr in der Kiste«, erwidert der die Begrüßung.
»Das hab ich mir gedacht«, sagt Edo, während mein Gesicht heiß wird und vermutlich ungesund anläuft.
»Wegen mir hat sie damals angefangen, sich zu rasieren …«
»Also, ich glaube, es reicht jetzt«, schalte ich mich ein, als die Haut über meinem Gesicht anfängt Blasen zu werfen, aber es klingt zu schüchtern, als dass man es ernst nehmen würde.
»Als sie das erste Mal zu mir gekommen ist, war das ganze Gestrüpp noch da. War mir für den Moment aber egal. Ich hab ihr gesagt: ›Das nächste Mal ist der Busch weg‹, und gut wars.«
Ich glaube, die Blasen platzen zu hören, und es brennt fürchterlich. Ich schaue hilfesuchend zu Edo, er muss doch merken, wie ich aussehe. Mein Gesicht! Ich bitte ihn still darum, etwas zu tun.
Er versteht sofort. »Ich glaube, du solltest jetzt gehen …«, sagt er. »Wir wollen nämlich, du weißt schon. Willst du noch ein Bier mitnehmen für den Heimweg?«
»Verstehe«, sagt der Andere und klopft ihm brüderlich auf die Schulter. »Kannst ja mal anrufen« geht noch an mich, bevor er die Wohnung verlässt.
Mein Gesicht ist zerfetzt. Ich glaube, ich werde nie wieder schön sein.
»Das ist mir jetzt ziemlich peinlich«, stottere ich und nehme einen großen Schluck aus der angefangenen Bierflasche, die auf dem Tisch steht, bevor ich sie mir zur Kühlung an die Wange halte.
»Das glaub ich dir«, sagt Edo und lächelt. Ich lächle auch, obwohl ich erwartet hätte, dass er eher so etwas sagt wie: »Das muss es nicht« oder so.
Aber ich verstehe ihn schon. Für ihn war das eben bestimmt auch nicht so einfach.
»Letzten Freitag hat unsere Tochter Charlene das Licht der Welt erblickt. Sie ist stolze 50 Zentimeter groß und wiegt 3100 Gramm. Unsere kleine Familie ist wohlauf und freut sich auf die gemeinsame Zukunft », lese ich auf der Karte, die in meinem Briefkasten lag. Es ist das erste Lebenszeichen, das ich seit Ende Mai von Lene bekomme, und erst bin ich ein bisschen enttäuscht. Von ihr hätte ich eher eine Nachricht erwartet wie: »Endlich hab ich ihn ausgeschissen, den kleinen
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