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Banalverkehr - Roman

Banalverkehr - Roman

Titel: Banalverkehr - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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dass er mich liebt. Aber … Nein, er macht es schon ganz richtig. Ich würde nur wieder heulen und nerven und im schlimmsten Fall an ein- und demselben Tag nicht nur Itsy verlieren, sondern auch ihn.
    »Kannst du dich dran erinnern, als es bei McDonalds Knotenbeißer gab? Das muss so Anfang der Neunziger gewesen sein«, sage ich und weiß selber nicht, wo ich das nun wieder ausgrabe.
    »Ja!«, ruft Edo. »Ich hatte alle. Voll bescheuert, auf was man damals so abgefahren ist …«
    »Du hattest alle?«, frage ich ehrfürchtig und finde endlich die Packung mit dem Reis und noch dazu eine digitale Küchenwaage. Ich habe tatsächlich eine digitale Küchenwaage, unfassbar.
    Edo nickt. »Und du?«
    »Den Hamburgerklau, aber ich hätte lieber das Vogelmädchen gehabt. Ich hab mich aber nicht getraut, die Burgerfrau zu fragen, ob ich ihn umtauschen kann.«
    »Waaas? Der Hamburgerklau war doch viel cooler!«
    »Findest du?«
    »Klar …«
    Und dann erzählt Edo, während ich den Reis abwiege, wie er und seine Kumpels sich die Schuhe mit dem coolen Hamburgerklau geschnürt haben und Birdie, weil sie die blöd fanden, von der Brücke auf die Bahngleise geworfen und zugeschaut haben, wie der Zug drüberrollte und das Plastik in tausend kleine Splitter zerfetzt hat. Birdie … Bei mir wäre dir das nicht passiert. Oder vielleicht doch. Ich bin schlecht darin, mich um andere zu kümmern, Itsy ist der tote Beweis dafür. Sie hätte eine Freundin gebraucht, aber sie hat mich bekommen. Dabei hätte ich es besser wissen müssen, nachdem ich eine Freundin gebraucht und Lene bekommen hatte.
    »Wünschst du dir manchmal, wieder ein Kind zu sein und zu Hause bei deinen Eltern zu leben?«, frage ich, als ich den Reis in die kochende Milch einstreue.
    »Nö«, sagt Edo und leckt das Papier an, um seinen Joint fertig zu bauen. »Du?«
    »Nein, natürlich nicht«, sage ich schnell und denke an den Kindergartenfasching, als ich Sterntaler war. Wie Mama mir dafür ein weißes Kleid genäht hat mit silbernen Sternen drauf und dass ich eine rabenschwarze Perücke dazu trug. Und wie ich mich, als ich vor zwei Jahren im Tierheim war, für Muschi entschieden habe, weil sie genauso schwarz ist wie diese Perücke. Ich denke daran, wie ich samstags immer Beverly Hills 90210 geguckt und – weil ich Kelly am besten fand – angefangen habe, mir die Haare blond zu färben. Ich denke daran, wie Mama, als ich ungefähr sechzehn war, immer fragte, ob ich nicht auch mal weggehen wolle wie die anderen Mädchen aus meiner Klasse, aber das echte Ausgehen hätte niemals so schön werden können wie das, was ich mit meinen Barbies nachgespielt habe. Ich hatte viele blonde Barbies, aber nur einen Ken. Es war also mehr als verständlich, dass er ab und zu fremdgehen musste. Bei 90210 passierte das auch oft und war nichts weiter als ein Handlungsstrang, der die Geschichte spannender machte. Zwei Jahre später riss ich meinen Puppen die Köpfe ab, nachdem Arsche-Locke mich mit seiner Exfreundin betrogen hatte und ich merkte, dass es doch irgendwie etwas anderes war als ein Handlungsstrang, der die Geschichte spannender macht. Und schließlich denke ich an den Tag, an dem ich von zu Hause ausgezogen bin, um zum Studium zu gehen. Ich saß auf meinem Bett und habe geweint, weil ich nicht wusste, wie ich allein klarkommen sollte. »Ich weiß doch noch nicht mal, wie die Waschmaschine funktioniert«, habe ich zu Mama gesagt.
    Das kann ich Edo alles nicht erzählen, aber es macht ja sowieso keinen Sinn. Und Erinnerungen sind sinnlose Floskeln, die man missbrauchen kann, wenn einem für den gegenwärtigen Moment nichts Besseres einfällt.
    »Ich hab den Milchreis fertig. Ganz alleine gekocht und ohne Tüte«, sage ich, zurück in der Gegenwart, fast ein bisschen stolz, nein, ziemlich stolz sogar, und stelle den Topf auf den Küchentisch.
    Edo lacht. »Respekt. Aber ich mag keinen Milchreis. Ist mir zu latschig.«
    »Ich verstehe«, sage ich und esse meinen Milchreis alleine und direkt aus dem Topf heraus, während er mir gegenüber sitzt und seinen Joint raucht. Uns trennt das Leben , fällt mir dabei ein. Ein geiles Lied.
    »Kennst du Uns trennt das Leben , von Thomas D.?«
    »Auch gut für Beerdigungen«, nickt er und pustet schweren, grauen Rauch über unsere Köpfe.
    Nach Itsys Beerdigung kommt der Winter.
    Wirklich. Gleich am nächsten Tag, als hätte er nur darauf gewartet, dass sie unter der Erde ist. Er kommt viel zu früh, es ist gerade mal Mitte Oktober, und

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