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Banalverkehr - Roman

Banalverkehr - Roman

Titel: Banalverkehr - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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könnte Italiener sein und vielleicht sogar Itsys, nein, er ist es, Itsys Exmann! Und ich habe ihn schon mal gesehen, in diesem Club, an unserem ersten Abend, als Itsy mich sitzenließ. Seinetwegen. Sie hatten immer noch Kontakt. »Anja!« Anja muss den miesen Italiener entfernen. Ich beobachte, wie seine Hände ein bisschen rotieren, bevor er sie in die Luft wirft. Er gibt auf und verlässt die Kapelle.
    »Von ihm hatte sie das ganze Zeug«, sagt Itsys Mutter. Was meint sie wohl mit »Zeug«? »Zweieinhalb Jahre hat sie gesessen. Nur seinetwegen.«
    »Was?«
    »Hat sie dir das nie erzählt? Isolde hat ein bisschen, na ja, sie hat gedealt. Mit Kokain. Oder woher glaubst du, hat sie die ganzen teuren Sachen gehabt? Vor fünf Monaten hat man sie entlassen.« Kurz, bevor ich sie kennengelernt habe. »Ich sag dir, nach dem Knast war sie nicht mehr dieselbe.«
    »Sie hat …?«
    Frau Sovic lächelt wieder, und dieses Lächeln reißt ein Stück Fleisch aus meinem Körper, es tut weh, und vor lauter Schmerz wird mir schwindelig.
    »Ja, ich dachte, du wüsstest das.«
    Aber weil ich nicht nachgefragt habe, vor zwei Monaten in Manchester, als ich es hätte erfahren sollen, bin ich es nicht wert, dass man mir einen Krankenwagen ruft. Ich könnte hier stehen und verbluten und hätte es verdient.
    »Nein, wir hatten wohl nie die Gelegenheit …«, … wirklich Freundinnen zu werden.
    Frau Sovic nimmt mich bei der Hand und zieht mich mit in die erste Bankreihe, zum Glück kommt Edo, der draußen noch eine rauchen wollte, gerade in die Kapelle und setzt sich neben uns – ich rieche noch die Zigarette an ihm. Ich bin froh, dass er da ist. Nun wird ein CD-Player eingeschaltet und spielt Quelqu’un m’a dit von Carla Bruni. Das sei ihr Lieblingslied gewesen, flüstert ihre Mutter, und ich muss aus Reflex gleich mal kräftig aufstoßen. Ich mag keine Franzosen. Die geben immer so damit an, dass sie die schönste Sprache der Welt haben. Die ja im Übrigen kaum einer versteht und selbst wenn: Die Zeit, der Drecksack macht sich einen Mantel aus Kummer? Hä? Wenn das wirklich ein neuer Trend wäre, hätten wir den doch wohl längst an Paris Hilton gesehen. Aber vielleicht stolpere ich auch gerade über meine mangelnden Sprachkenntnisse. Egal, für diese Songauswahl müsste man der armen Frau Sovic eigentlich Carla Brunis Gitarre in den Arsch rammen, aber mach was. Itsys Lieblingslied – ja, klar. Itsy hat Sprachen studiert – aber sicher. Itsy hat natürlich gewusst, dass Französisch überhaupt auch eine Sprache sein kann – ach, kommt schon. Das hier ist eine einzige Farce. Und sie geht sogar noch weiter, als der Pfarrer seinen Auftritt hat und über das blonde Mädchen erzählt, das da vorne im Sarg liegt. Sie sei ein liebes Kind gewesen, immer hilfsbereit und aufmerksam ihren Mitmenschen gegenüber. Am liebsten habe sie die Abende mit ihrer Mutter beim Scrabble verbracht. Unfassbar, was passiert sei. Isolde hätte gerne Kinder gehabt und das wäre sicher ein Zugewinn für diese kalte Welt gewesen. Kinder, die so geworden wären wie Isolde, reizend, warm und mitfühlend. Die Stelle, an der sie anfängt, Kokain zu verkaufen, lässt er irgendwie weg, aber wahrscheinlich weiß er davon auch gar nichts.
    Ich drücke die Hand von Itsys Mutter, die rechts von mir sitzt, um ihr Zuspruch zu geben. Gleichzeitig drücke ich Edos Hand, um Zuspruch zu bekommen. Den brauche ich jetzt dringend. Das Atmen fällt mir schwer, und es könnte sein, dass ich kurz davor bin, in die Kapelle zu kotzen. Es sind so viele Gedanken, die sich in meinem Kopf um die eigene Achse drehen, bis ich nicht mehr weiß, was hier los ist und um wen es überhaupt geht. Ob Itsy überhaupt tot ist, zumal alle sagen, dass es eine Isolde ist, die da vorne im Sarg liegt und nie wieder aufwachen soll. Ob ich schuld bin. Ob das alles nicht passiert wäre, wenn ich eine richtige Freundin gewesen wäre. Und schließlich werden alle diese Gedanken irgendwie dickflüssig und schieben sich durch meinen Kopf, bis sie sich an einer Stelle sammeln und einen anderen ergeben: ob ich in diesem schwarzen Kleid auch ja nicht zu blass aussehe. Damit geht es mir schlagartig besser, die Übelkeit lässt nach, und ich kann mich wieder auf mich selbst konzentrieren. Setzung von Prioritäten. Ja. Schwarz war noch nie so meine Farbe. Ja. Ich hätte ein dunkleres Make-up benutzen sollen. Ja, definitiv. Auf die nächste Beerdigung bin ich besser vorbereitet. Versprochen.
    »Puppe!«, zischt

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