Banalverkehr - Roman
Itsys Mutter und wedelt mit der Hand. Ich soll nach vorne und etwas über Itsy sagen. Dieses Versprechen hatte sie mir abgenommen, bevor ich mich zum psychischen Boykott dieser Zeremonie entschlossen habe. »Als ihre beste Freundin kanntest du sie am besten«, hatte sie gesagt. Erst wollte ich nicht, aber ihre Augen, sie waren so leer und irgendwie hypnotisierend.
»Ich glaube, ich kann das nicht«, sage ich nun leise zu Edo, während Frau Sovic unentwegt mit der Hand wedelt.
»Jetzt mach einfach«, sagt er und stöhnt. Nerve ich ihn schon wieder? Ich sollte nicht schon wieder nerven, also gehe ich lieber schnell nach vorne.
»Hallo«, sage ich und schaue zu Boden …
»Mein Name ist …« Die Blicke aus den blassen, traurigen Gesichtern durchbohren mich, und meine Stimme zittert genauso wie meine Knie. »Mira Stockmann. Ich soll jetzt etwas über Isolde sagen.« Und dazu muss ich erst mal nachdenken. »Also …« Ich reibe mir mit der flachen Hand über die Stirn. Es gibt da Theorien über Reibungswärme zur Steigerung der Aktivität. Vielleicht trifft das auch zu, wenn es darum geht, die Hirnaktivität zu steigern. »Das ist schwierig.« Zeit schinden. »Und durchaus komplex.« Und es hat einfach keinen Sinn, wenn wir mal ehrlich sind. »Die Wahrheit ist nämlich, ich habe keine Ahnung, wer sie war. Ich habe auch nie nach ihr gefragt. Ich kannte nur Itsy. Einen Menschen, der schnell leben wollte. Und wild. Der nicht erwachsen sein konnte, der spielen wollte oder musste …, und ich schätze, deswegen waren Itsy und ich uns irgendwie nah.«
Itsys Mutter und die anderen starren mich an. Ich hätte erzählen sollen, dass wir abends immer Scrabble gespielt haben. Aber das kann ich nicht. Auf Beerdigungen darf man nicht lügen. Und irgendwie muss sie doch in Würde tot sein dürfen. Wir haben viel zu lange mit den Schultern gezuckt, gelächelt und einfach weitergemacht und betten ihren Sarg nun mit diesen ganzen Lügen aus.
»Itsy war anders, als ihr denkt. Sie war viel besser. Und verletzt. Aber keinen hat es interessiert. Ich möchte mich bei ihr entschuldigen, dass ich nie gefragt habe, wie es ihr geht. Es tut mir leid, Itsy.« Es tut mir wirklich leid, aber ich darf mich doch nicht mehr in irgendwelche Sachen reinsteigern. Ich trage heute Schwarz, und das steht mir nicht.
»Zuletzt möchte ich noch meinem Freund Edo, der da vorne neben Isoldes Mutter sitzt, sagen, dass ich ihn liebe und ihm dankbar bin, dass er mich so nimmt, wie ich bin.« Ich nicke kräftig mit dem Kopf, um klarzumachen, dass ich fertig bin, dann gehe ich zu Edo, nehme seine Hand und ziehe ihn mit mir mit. Ich will weg von hier. Raus aus der Kapelle. Weg vom Friedhof. Ich will nicht sehen, wie sie Itsy in die Erde einlassen, und mich fragen, was mit der Zeit von ihr übrigbleiben wird. Ob ihre Silikonkissen irgendwann auch zu Staub zerfallen oder als Einziges in einem Haufen zu Staub verrotteter Knochen in dem Sarg liegen bleiben.
»Das meine ich ernst, Edo. Danke, dass du mich so nimmst, wie ich bin«, sage ich, als wir über den Kiesweg zum Parkplatz gehen. Die Absätze meiner Schuhe rutschen unter den kleinen Steinchen weg. Könnte ich mich nicht an Edo festhalten, wäre ich bestimmt schon hingefallen.
»Hast du eigentlich nur hohe Schuhe?«, fragt er, als ich wieder fast ausrutsche.
»Fändest du Turnschuhe besser?«
»Dann würden wir besser zusammenpassen«, sagt er und deutet mit dem Kopf nach unten auf seine schwarzen Sneakers.
»Klar, hab ich Turnschuhe. Kann ich ja auch mal anziehen«, sage ich und nehme mir vor, am nächsten Tag gleich zwei Paar zu kaufen.
Kapitel 9 – … reloaded
»Das gehört halt auch zum Leben«, sagt Edo, als wir nach der Beerdigung zu Hause sind. Er sitzt am Küchentisch und nimmt eine Zigarette auseinander, um sich einen Joint zu bauen, während ich meine Schränke inspiziere. Dieser Instant Chai ist mindestens ein Jahr alt und schmeckt mittlerweile bestimmt richtig scheiße. Obwohl er auch schon vor einem Jahr scheiße geschmeckt hat. Ich sollte ihn wegwerfen.
»Leben, sterben, ein ewiger Kreislauf«, fügt er hinzu und kriegt scheinbar einfach nicht genug.
»Hm«, nicke ich und tue so, als würde ich es nicht total beschissen finden, dass in diesem Moment irgendwelche sinnlosen Floskeln missbraucht werden. Ich wünschte, er würde seine Tabakkrümel beiseiteschieben und mich in den Arm nehmen, mich so fest drücken, dass mir die Luft wegbliebe, und mir sagen, dass alles wieder gut wird. Und
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