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Banalverkehr - Roman

Banalverkehr - Roman

Titel: Banalverkehr - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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klingt schrecklich. Die Schneedecke ist fest und es knautscht ekelhaft, wenn man darüberläuft. Als lägen Menschen darunter, denen man mit jedem Schritt die Knochen bricht.
    Das ist aber nicht der Grund, warum ich mich kaum noch aus dem Haus traue. Es ist irgendwie alles zu viel geworden – vor fünf Monaten ist Erbse gestorben, dann kam Itsy, danach Edo, nun ist Itsy wieder weg – zu viel in zu kurzer Zeit, um nicht verrückt zu werden. Ich habe Panikattacken und kann nachts kaum noch schlafen, weil ich mir einbilde, dass, sobald ich die Augen zu hätte, irgendein Gefäß in meinem Kopf platzen könnte. Ich habe nämlich ständig diese Kopfschmerzen. Vielleicht ist es auch ein Hirntumor. Auf jeden Fall habe ich Angst, dass ich auch bald sterben muss. Weil ich doch bin wie Itsy. Aber ich will nicht sterben, und so klammere ich mich an die Beziehung mit Edo. Wenn er neben mir liegt, wird nichts platzen. Solange er bei mir ist, bin ich sicher. Deswegen ist es mittlerweile blanker Horror, wenn er mal einen Abend allein bei sich zu Hause verbringen will. Das hat er ja immer ab und zu gemacht, aber in letzter Zeit häuft es sich. Gut, dass ich meine Outlook-Ampel aufgegeben habe, denn die würde zeigen, dass wir uns nur noch ein-, höchstens zweimal pro Woche sehen. Manchmal will er in Ruhe was am Computer basteln, oder es ist noch was mit seiner Steuererklärung. Manchmal muss er auch seine Wäsche waschen, und da kann er erst recht nicht weg. Nicht, dass der Schlauch vom Wasserhahn zur Waschmaschine abgeht und die Wohnung überflutet wird.
    Ich sitze abends immer noch auf der Bettkante und flehe mein Handy an, mir eine SMS zu zeigen, in der er mir eine gute Nacht wünscht. Selten kriege ich eine. Aber ich versteh das schon. Edo hat ja auch noch ein Leben neben mir.
    »Ist was mit dir?«, frage ich trotzdem. Nur um sicherzugehen, dass es wirklich am Waschmaschinenschlauch und der Steuererklärung liegt.
    »Nein, was meinst du?«
    Ich kuschele mich eng an ihn. Sein Körper ist noch heiß und ein bisschen klebrig. Ich liebe die kleinen Haare auf seiner Brust. Ich liebe ihn. Mein Edo … Edo … Edo.
    Er krault meinen Kopf, als wäre ich ein kleines Kätzchen, und ich schnurre. »Ich find’s schön, dass du so brav geworden bist, aber du redest auch kaum noch was.« Er will sagen, dass ich langweilig geworden bin. Gähnend langweilig. Natürlich, deswegen verbringt er die Abende lieber zu Hause. Weil es mit mir langweiliger ist, als einer Waschmaschine beim Waschen zuzuschauen. Das liegt nur daran, dass ich in letzter Zeit kaum noch trinke, bevor er zu Besuch kommt. Natürlich bin ich dann nicht lustig. Ich muss wieder mehr trinken, auf jeden Fall. Aber ich hab doch keinen Organspender mehr!
    »Ach so. Hm«, sage ich. Ich möchte natürlich noch mehr sagen, viel mehr, aber ich muss mir jedes einzelne Wort genau überlegen, schließlich will ich verhindern, dass irgendetwas Unerwachsenes aus meinem Mund kommt. Das mag Edo ja nicht. Wir schweigen für eine Weile.
    »Würdest du mir ein Organ spenden, wenn ich eins bräuchte? Eine Leber oder so?«
    Edo lacht. »Und von wem kriege ich dann eine neue Leber?« Ich lache auch und komme mir ein bisschen dumm vor. Wie kann ich bloß ein Organ von ihm verlangen?
    »Ja, du hast natürlich Recht.« Wir schweigen wieder, und ich frage mich plötzlich, ob er es insgeheim vielleicht doch interessanter mit mir fand, als ich mich noch nicht wie eine Erwachsene benommen habe. Natürlich hat er sich über mich aufgeregt, mich vor den Spiegel gezerrt und angeschrien, aber zu dieser Zeit hat er sich nie darüber beschwert, dass ich so ruhig sei. Na ja, was heißt beschwert . Aber irgendeinen Grund muss es ja haben, dass er die Abende inzwischen lieber mit einer Waschmaschine verbringt als mit mir.
    »Ich muss dich noch was fragen«, sage ich und kratze meinen ganzen nüchternen Mut zusammen. »Fandest du es besser, als ich noch irre war?«
    »Was? Nein! Natürlich nicht!«, sagt er schnell und küsst mich auf die Stirn. »Aber vielleicht solltest du dich doch mal mit einem Psychotherapeuten unterhalten …«
    Mein Körper will schon vor Empörung in die Senkrechte schießen, aber Edo hält mich fest, und ich bleibe liegen. »Ich meine doch nur, weil die letzten Monate so schwierig waren für dich. Das mit Erbse, und jetzt Itsy.« Erst weiß ich nicht, wie ich es finden soll, dass er scheinbar alles wieder aufkratzen will. Die ganzen Wunden, die ich mir im Schnellverfahren zugepflastert

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