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Banalverkehr - Roman

Banalverkehr - Roman

Titel: Banalverkehr - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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habe, nur um seine Geduld nicht zu lange auf die Probe zu stellen. Aber dann fühle ich meine Theorie bestätigt: Edo will mich schreiend, tretend, heulend und um Hilfe flehend. Wow, das ist ja noch viel besser, als ich dachte! Wir sind nicht nur glücklich, sondern auch noch voneinander abhängig! Ich wollte jemanden, der mich rettet, und anscheinend hat Edo sich in seiner Rolle als Retter gut gefühlt. Etwas Besseres kann mir doch eigentlich nicht passieren, denn damit steht offiziell fest, dass er mich genauso braucht wie ich ihn. Auch, wenn ich dafür irre sein muss.
    »Besonders das mit Itsy«, sagt er, und ich verstehe sofort.
    »Das hätte ich sein können«, sage ich. Und es funktioniert. Wir verlieren uns in einer Vision, in der ich gesoffen hätte, wahrscheinlich wäre ich sogar drogenabhängig gewesen, wie ich in meinem Rausch von Männern genommen worden wäre, die mich nicht kennen und mich auch nicht kennen wollen. Was wäre um Himmels willen passiert, wenn Edo nicht gekommen wäre und mich gerettet hätte? Am Ende liege ich irgendwo tot rum. Vielleicht auf derselben Toilette wie Itsy, vielleicht hätte ich es noch nach Hause geschafft und krepiere beim Ausnüchtern in meinem Bett. Auf jeden Fall sterbe ich einen erbärmlichen Tod, damit wir noch mal miteinander schlafen können. Es ist überwältigend. Wir kommen zur gleichen Zeit, und ich denke, wir waren uns nie näher als in diesem Moment.
    »Ich muss langsam los«, sagt er wenig später und krabbelt durch das Bett auf der Suche nach seinen Boxershorts. Sein Schwanz ist wieder klein und schlaff.
    »Wieso?«, frage ich panisch. Immerhin sind wir voneinander abhängig, da kann einer nicht einfach langsam losmüssen!
    Edo findet seine Hose und steht auf. »Weil ich doch morgen früh nach Berlin muss. Zum Fruchtgummi-Mann wegen der Präsentation.«
    »Aber du kannst von hier aus zum Flughafen fahren! Oder ich fahr dich! Wie schon mal. Komm wieder ins Bett und lass es uns gemütlich machen.« Gemütlich . Egal, nichts ist besser als gemütliche gegenseitige Abhängigkeit. »Bitte!«, flehe ich. Flehen halte ich für gut. Und noch mal »bitte«, denn die Zeit läuft mir davon. Er ist schon bei der Jeans, und die Angst, dass ich die Nacht alleine verbringen muss, würgt mich, T-Shirt, WÜRGT! MICH !
    »Ich will die Präsentation noch mal durchgehen und mir ein paar Notizen machen.«
    »Kann ich mitkommen?«, frage ich, als mir klarwird, dass mich nur noch ein Pulli und zwei Schnürsenkel von einem Abschiedskuss trennen.
    Edo stöhnt. »Du, ich glaub, das wäre zu stressig. Ich werd jetzt ein bisschen reinpowern, damit ich den Kram noch fertigkriege, und dann gehe ich ins Bett.«
    »Okay«, sage ich. Ich bekomme meinen Kuss und lächle. Als er weg ist, lächle ich immer noch. Wie ein Idiot sitze ich im Bett, die Decke um die nackten Schultern, und lächle . Lächel, lächel, und ich wünschte, ich könnte zusätzlich mit den Schultern zucken und einfach weitermachen. Lächel, lächel. Mit irgendwas. Aber ich kann nicht. Lächel, lächel. Und dann zieht mir die Furcht vor der Nacht die Decke weg, und ich sitze nackt und frierend auf der Matratze und heule.
    Nervös versuche ich das Auto anzulassen, aber es knattert nur müde und krank vor sich hin, bis es plötzlich ganz still ist. Ich halte das für ein Zeichen. Überall lauert der Tod. Ich kriege noch mehr Panik. Ich renne zur U-Bahn und springe in den nächsten Zug. Es riecht wie immer, alter Pups. Lautlos schreie ich die U-Bahn an, dass sie schneller fahren soll. Ich muss zu Edo. In meinem Kopf spielt sich ein Szenario ab: Edo wird mich verlassen, weil ich nicht mehr gefährlich bin. Ich bin berechenbar und langweilig. Ich war die ganze Zeit auf dem falschen Dampfer. Ich hätte ihm davon erzählen sollen, wie ich meine Barbies geköpft habe. Ich muss etwas tun …
    »Was machst du denn hier?«, fragt er. Es klingt nicht böse oder genervt. Gott sei Dank. Nur überrascht, und das ist gut. Überrascht, weil nicht vorherzusehen war, dass ich komme. Hurra! Ich bin doch noch irre!
    »Hallo«, sage ich und gehe in die Wohnung. Es ist unaufgeräumt, überall liegen leere Pizzaschachteln und Verpackungen aus Fastfood-Läden herum. Ich esse ja nie ohne Edo. Im Aschenbecher liegen Jointreste, und wohin ich auch schaue: Klamotten. Keine Ahnung, ob das die frische Wäsche ist, für die er mich letzten Dienstag alleine gelassen hat, oder dreckige, für die er mich spätestens Ende nächster Woche nochmal einen

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