Banana Pancake Trail: Unterwegs auf dem vollsten Trampelpfad der Welt (German Edition)
Monkey Jane liebt «beer pong». Jeden Abend versucht sie, zusammen mit Kanadiern, Australiern und Engländern einen Tischtennnisball in ein Bierglas zu werfen. Wer sie besiegt, bekommt von ihr ein Erinnerungs-T-Shirt, auf dem ihr Name und das Bild eines Affen aufgedruckt sind. Das Monkey Jane’s Guesthouse ist im Übrigen ein richtiges Hostel. Die Zimmer sind klein und hellhörig. Auf der Dachterrasse stehen Möbel, die zwar sehr bequem sind, aber nicht zusammenpassen. Es gibt Mehrbettzimmer für Billigheimer, und man kann sich jeden Abend für wenig Geld mit irgendjemandem betrinken.
Monkey Jane schreit Chiara und mich an: «You! Go beer pong play! Very funny! Drink, drink, crazy drink!»
Wir spielen nicht Beer Pong, aber Monkey Jane findet genug andere Gäste, die mit ihr spielen wollen. Chiara und ich müssen noch etwas besprechen.
Eine alte, sehr kleine und sehr verhutzelte chinesische Frau kommt die Treppe hinauf auf die Dachterrasse. Sie trägt ein schwarzes Gewand mit bunten Verzierungen an den Ärmeln. Es ist die Tracht einer lokalen Minderheit. Sie hat einen Sack bei sich. Als sie ihn öffnet, verstummen die Gespräche an den Tischen. Aller Augen richten sich auf die kleine Frau. Sie kümmert sich nicht um die allgemeine Aufmerksamkeit. Mit der linken Hand ergreift sie eine Schlange, dicht unter deren Kopf. Das Tier windet sich vergeblich, schlägt mit dem Rest seines Körpers hilflos Figuren in die Luft. In ihrer rechten Hand hält die Frau eine Schere, nicht länger als ihre kleine Hand. Sie führt die Schere an den Hals des Tieres. Frauen beginnen zu kreischen, Chiara sagt: «Oh my gosh!»
Blut spritzt auf die Hände der kleinen Frau. Sie wirft den Kopf hinter sich. Den Rest des Körpers hält sie über ein Glas. Das Blut läuft dort hinein. Als der Körper ausgeblutet ist, überreicht sie das Glas Schlangenblut einem Finnen. Der Finne ist sehr groß, etwa zwei Meter. Er ist ein Hüne von einem Mann. Er nimmt das Glas und leert es in einem Zug. Alle Anwesenden kreischen, zwei Drittel schlagen angewidert die Hände über dem Kopf zusammen, das andere Drittel applaudiert dem furchtlosen Nordmenschen. Die alte Frau beachtet den Trubel nicht. Schweigend und mit einer ruhigen Bewegung legt sie den toten Schlangenkörper zurück in den Sack und steckt die Schere ein. Dann geht sie.
Zehn Minuten später erscheint ein Kellner und bringt dem Finnen eine Schale Reis und Schlangen-Chop-Suey. Der Finne sagt, für 100 Yuan – etwas über zehn Euro – könne man eine Schlange am Vortag bestellen. Ein Bauer werde dann in die Berge geschickt, um eine Schlange zu suchen.
Chiara und ich könnten jetzt darüber sprechen, was wir von dem Finnen halten. Oder ob wir selbst Schlangenblut trinken würden. Oder darüber, ob wir schon mal Heuschrecken, Maden oder Frösche gegessen haben und ob es wirklich stimmt, dass sie in Indonesien einen Affen unter die Tischplatte fesseln und ihm bei lebendigem Leib die Schädeldecke aufsägen, um sein Gehirn zu löffeln. Darüber, wo wir in China überall schon waren, wie teuer es dort war, ob wir die Große Mauer und den Potala-Palast in Lhasa gesehen haben. Wir könnten noch weiter über die Berge von Yangshuo sprechen und darüber, ob Finnen einfach härter im Nehmen sind und alles in sich hineinschütten können, vielleicht so wie Russen. Wir könnten auch über Barack Obama sprechen und meinetwegen über die Wirtschaftskrise. Wenn man in einem chinesischen Hostel absteigt, das einer verrückten Chinesin gehört, gehen einem die Gesprächsthemen wirklich nicht aus. Wir aber reden über Indien.
Treffen sich zwei Indienkenner irgendwo auf der Welt, beginnen sie sofort, all die Orte aufzuzählen, die sie in diesem Riesenland besucht haben. Stellen sie dabei fest, am selben Ort gewesen zu sein (was weniger unwahrscheinlich ist, als es klingt, denn die meisten Indienreisenden besuchen dieselben Städte und Strände), fragen sie, ob der andere vielleicht auch in diesem oder jenem Hotel gewesen sei, in dem sie selbst waren. Ist das der Fall (was ebenfalls weniger unwahrscheinlich ist, als es sich anhört, denn alle Indienreisenden wohnen in denselben Hostels, die ihnen der Lonely Planet empfiehlt), drehen sie total durch. Sie benehmen sich, als hätten sie gerade erfahren, dass sie dieselbe Mutter haben. Egal, wo sie sich befinden – auf einer Maya-Pyramide im Dschungel, auf einem Kamel in der Sahara oder in einer Bambushütte am Mekong –, überall reden sie über nichts anderes
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