Banana Pancake Trail: Unterwegs auf dem vollsten Trampelpfad der Welt (German Edition)
als über Indien. Man möchte ihnen zurufen: «Dann fahr doch wieder nach Indien, wenn es da so wahnsinnig toll ist!» Aber den Indienkenner interessiert das alles nicht. Er zuckt mit den Schultern und ist gedanklich schon wieder in Varanasi, wo tote Kühe im Wasser schwimmen, oder bei den Sadhus von Hampi, die den ganzen Tag zu Shiva beten. Backpacker, die schon mal in Indien waren, können ihre Mitreisenden wahnsinnig machen.
Jemand kann die ganze Welt bereist haben – wenn er nicht in Indien war, dann fehlt ihm eine Reihe ganz elementarer Erfahrungen. Wer noch nie in Indien war, weiß zum Beispiel nicht, was Dreck ist (und wie er sich auf den Organismus auswirkt). Der Indienkenner ist der Meinung: Nur wer in Indien war, weiß, was ein richtiger Durchfall ist. Wenn also in Nicaragua, München oder auf einer thailändischen Insel etwas von einer Magenverstimmung erzählt wird, beginnt der Indienkenner seinen Satz mit: «Als ich in Indien war», und beendet ihn mit: «drei Wochen lang!» Zwischen diesen Worten erfährt man etwas Unappetitliches, das man eigentlich gar nicht so genau wissen will. Nervt ein Einheimischer wegen seiner Aufdringlichkeit, schüttelt der Indienkenner den Kopf: «Nichts im Vergleich mit Indien – da wurde ich einmal im Schlafzug von fünf Indern betatscht, weil sie gucken wollten, ob meine Hautfarbe echt ist.» Liegt ein toter Hund am Straßenrand, stößt er verächtlich aus: «Pah – in Varanasi schwimmen menschliche Leichenteile im Ganges.» Wer sich in Kambodscha geschockt wegen der vielen Bettler zeigt, dem sagt der Indienkenner: «In Indien stechen sie Kindern die Augen aus, damit sie mehr Mitleid erregen.» Und zum Abschluss fasst der Indienkenner noch einmal zusammen: «Man sagt: India – love it or hate it.» Ein Satz übrigens, der ziemlich trivial wirkt, wenn einem nicht alles scheißegal ist. Man sagt ja auch nicht: «Kinder – love them or hate them» oder «Krieg – love it or hate it».
Indien ist die Benchmark aller Bananenpfannkuchenesser. Jedes Land wird mit Indien verglichen, alles wird in Relation zum Subkontinent gesetzt. Wer Indien bereist hat, steigt in der sozialen Hierarchie der Backpacker sofort in die Königsklasse auf. Und nicht zu Unrecht. Indien ist tatsächlich das Land, das den gemeinen westlichen Rucksacktouristen körperlich wie geistig am stärksten beansprucht. Es ist am dreckigsten, anstrengendsten, ärmsten, abgefucktesten. Mumbai oder Bombay ist so überfüllt wie eine Berliner U-Bahn um acht Uhr morgens, das aber zu jeder Tageszeit und an jedem Ort. Auf kleinen Ständen verkaufen Händler schwarzgebrannte DVDs und CDs. Vor der Ware liegt ein alter Mann auf der Straße, und man weiß nicht, ob er gerade schläft oder stirbt. Das ist schlimm, aber noch schlimmer ist es, dass es dem DVD-Verkäufer vollkommen gleichgültig ist. In Indien laufen Kühe durch die Hauptverkehrsstraßen der Städte, weil sie heilig sind. Aber niemand kümmert sich um die Kühe oder füttert sie. Deswegen fressen die Kühe einfach alles, was so herumliegt. Auch Plastiktüten. Es gibt Kühe, denen man den Magen auspumpte und darin Dutzende Plastiktüten fand. In Varanasi verbrennen sie Leichen und werfen die Überreste in den Ganges. Weil dies ein heiliger Ort ist und die Hindus glauben, es sei nützlich, um dem Kreislauf der Wiedergeburten zu entkommen, baden sie in demselben Wasser, in dem die Leichenteile herumschwimmen. In Indien gibt es Sadhus, dauerbekiffte Bettelmönche und Gurus, die nach einem einzigen Blick in die Augen alles über einen wissen.
In Indien trifft man dementsprechend auch die verrücktesten Backpacker: Menschen, die seit Jahren in einem Baum leben, Übriggebliebene von der letzten Goa-Trance-Party 1998, Briten, die ihrer kolonialen Vergangenheit nachtrauern und sich mit viel Gin Tonic ins Jahr 1893 zurückträumen. Yoga-Freaks, die seit Monaten nichts anderes als Asanas machen und behaupten, ohne Asanas überhaupt nicht mehr leben zu können.
Indien ist natürlich auch sehr schön. Es ist – und das mag nun nach der Erzählung eines Goldschmiedekursteilnehmers im Münchner Glockenbachviertel klingen – sehr farbenfroh, weil eben alle, auch die ärmsten Frauen Saris in Hellgrün, Safrangelb und Fliederlila tragen. Die Strände sind einsamer, die Berge höher als sonst irgendwo, und es ist verdammt billig. In Nordindien kann man für ein paar Euro in einem alten Maharadscha-Palast wohnen. Das Tadsch Mahal in Agra ist tatsächlich so etwas wie
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