Banana Pancake Trail: Unterwegs auf dem vollsten Trampelpfad der Welt (German Edition)
passieren kann.
Am zweitschlimmsten sind übrigens Gruppen. Einer Gruppe möchte man sich als Alleinreisender nicht anschließen, denn spätestens wenn die anderen beginnen, Saufgeschichten von der gemeinsamen Fußballvereinsfeier auszupacken, fühlt man sich, als sei man wieder 16 und in der falschen Ecke des Pausenhofs gestrandet, auf jeden Fall nicht dort, wo die Coolen stehen.
In Thailand, Vietnam oder Ägypten kann man drei Wochen lang von Pärchen umgeben sein und sich gleichzeitig hundeelend einsam fühlen – was schlimmer ist, als eine Woche allein zu sein. In Myanmar, im Iran oder in manchen Teilen Chinas dagegen genügt es, von hellerer Gesichtsfarbe als die Einheimischen zu sein und einen Lonely Planet bei sich zu tragen, um innerhalb von 24 Stunden jemanden kennenzulernen. Er fragt: «Wo kommst du her? Wo fährst du hin?», und man teilt sich die nächsten zwei Wochen ein Hotelzimmer.
Am sechsten Tag hat sich nichts geändert. Es ist die längste Zeit meines Lebens, in der ich mit keinem Menschen spreche. Am siebten Tag endet sie, denn jetzt treffe ich Jurek. Zwei Latinos zeigen mit dem Finger auf ihn und lachen. Jurek hat nichts an. Nichts außer einer Unterhose und einer Sonnenbrille. Er winkt mir von der gegenüberliegenden Straßenseite zu. Auf den staubigen Straßen einer mexikanischen Stadt sieht er aus wie ein dick gewordenes Unterwäschemodel, das sich in die Dritte Welt verirrt hat. Er ist groß, winkt hektisch und schreit «¡Hola!» Er rennt auf mich zu. Ich bekomme Angst.
«Wohin fährst du?»
«Vera Cruz.»
«Ich auch. Wollen wir uns morgen dort treffen? Welches Hotel?»
Ich nenne ihm ein Hostel und frage, warum er nichts anhat.
«Ist alles in der Wäsche.»
«Alles auf einmal?»
Jurek sagt, er habe keine Lust auf viel Gepäck. Alles, was er braucht, seien zwei T-Shirts, zwei Unterhosen, eine Hose und ein Pullover. Alles bis auf diese Unterhose sei eben gerade in der Wäsche.
In der nächsten Nacht gegen drei Uhr hämmert jemand gegen meine Tür. Das Holz ist diesmal dicker als jenes in dem Verschlag. Es hält stand.
«Señor, señor!», ruft jemand.
Nach anfänglichen Befürchtungen, zufällig in den Krieg zweier rivalisierender Drogenkartelle geraten zu sein, öffne ich die Tür. «Señor, señor, tu amigo está aquí», sagt der Hotelangestellte. Mein Freund ist hier, um drei Uhr nachts? Nicht dass ich wüsste. Hinter ihm steht Jurek. Er ist also jetzt mein Freund.
«Wie viel zahlst du für das Zimmer?», fragt er.
«Acht Dollar», antworte ich ihm.
«Gut, vier für jeden», sagt er, wirft seinen kleinen Rucksack in die Ecke, legt sich mit Klamotten (er hat wieder etwas an) auf das Bett und schläft ein. Er schnarcht.
Am nächsten Tag sitzen wir auf der Couch des Hostels und frühstücken. Jureks Frühstück besteht aus einer Cola, einer Tasse Kaffee und zwei Zigaretten. Er nennt das «dirty breakfast». Jurek reist seit zwei Monaten durch die USA und durch Mexiko.
Unter normalen Bedingungen würde ich Jurek für milieufremd halten, aber ich bin seit einer Woche allein unterwegs und ausgehungert nach menschlichem Kontakt. Ich meine, ich will nur gern mal wieder mit jemandem sprechen, der nicht 1,50 Meter klein ist und dessen Sprache wie eine Maschinengewehrsalve klingt.
Am Abend gehen Jurek und ich in eine Bar. Es ist keine Backpackerbar. In einer gefliesten Halle sitzen ältere Männer mit Baskenmützen und verschlagenem Grinsen an hölzernen Tischen, trinken Rum und rauchen Zigaretten. Jurek und ich sind die einzigen Nichtmexikaner. Bis auf eine Gruppe von Mädchen befinden sich in der Bar nur Männer. Die Mädchen sehen eigenartig aus. Eine von ihnen trägt trotz einer Außentemperatur von 30 Grad Wollhandschuhe, der anderen fehlen zwei Schneidezähne, die dritte hat die Figur eines Würfels. Nur eine ist hübsch: Sie ist schlank und hochgewachsen, hat lange schwarze Locken.
Wir trinken Rum, und Jurek erzählt, wie er bei der Besteigung des Popocatepetl in Mexiko fast erfroren wäre, da sich sein einziger Pullover nicht als adäquates Bekleidungsstück erwies. Er erzählt weiter, dass er unterwegs drei Polen kennengelernt habe, die in einem Auto mit defekten Bremsen durch Mexiko fuhren. Wir reden über Tschechien und über Deutschland. Wir trinken den zweiten und den dritten Rum und stoßen auf Europa an. Die Frauen am Nebentisch sehen jetzt nicht mehr so schlecht aus. Es ist dunkel draußen, wir trinken noch mehr Rum. Jurek erzählt von einem anderen Deutschen,
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