Banana Pancake Trail: Unterwegs auf dem vollsten Trampelpfad der Welt (German Edition)
mehr Geld für ein besseres Hotel ausgeben, wenn ich doch sowieso allein bin? Ich wandere durch eine Wüste, und dort wächst nicht mehr, wenn ich mehr Geld ausgebe. Die Wüste bleibt einsam.
Die Wände sind so dünn, dass sie auch ein Kind mit einem Fußtritt durchtreten könnte. Die oberen 20 Zentimeter bis zur Decke sind offen. Jeder hört alles. Auf dem Boden liegt eine Matratze, die auf einem Münchener Wertstoffhof nicht in Halle 2 beim Wiederverkauf, sondern sofort im Restmüll landen würde. Ich schlafe ein und wache vier Stunden später wieder auf, weil mein Nachbar wohl etwas Falsches gegessen hat. Er übergibt sich mehrmals. Ich packe meine Sachen und warte in der «Lobby», die aus einer roten Plastikcouch und einem Tresen besteht, hinter dem ein adipöser Honduraner schnarcht, bis die Sonne aufgeht.
Am fünften Tag weiß ich, dass ich nicht durchdrehe. Aber mir ist unendlich langweilig. Ich würde mich über jeden Gesprächspartner freuen, sofern er des Deutschen oder Englischen mächtig ist: Florian Silbereisen, Verona Pooth, Markus Söder – egal, ich rede mit jedem. Man kann allein sein, ohne einsam zu sein. Man kann einsam sein, ohne allein zu sein. Daheim klingelt das Telefon, ein Chatfenster geht auf, jemand steht vor der Tür, jeden Tag sind Menschen um uns, mit denen wir sprechen wollen oder müssen: Eltern, Freunde, Kollegen, Mitbewohner, Nachbarn, Callcentermitarbeiter. Hier sehe ich auch jeden Tag Menschen – sie sprechen, aber ich verstehe sie nicht. Ich bin wie eine unsichtbare Wand von ihnen getrennt. Ich sehe sie, sie sehen mich, nur zu sagen haben wir uns nichts. Wir leben nicht dasselbe Leben. Sie bleiben. Ich muss weiter.
Allein reisen kann schlimm sein. Am schlimmsten aber ist es, wenn alle anderen nicht allein sind. Allein unter Fremden zu sein kann eine Form der Selbsterfahrung darstellen, denn es ist ein seltener Zustand. Allein unter Fremden zu sein ist eigenartig. Allein unter Pärchen zu sein ist entwürdigend. Aber allein unter Alleinreisenden zu sein ist der bestmöglichste Zustand.
Es gibt niemanden, der nörgelt, quengelt, schlecht gelaunt ist, zu lange braucht, sein Frühstücksei mit Butter isst, anderswohin will, stinkt oder mit Frauen schläft, mit denen man selbst gern schlafen würde. Alleinreisende werden nicht öfter belästigt, ausgeraubt oder vergewaltigt als andere. Alleinreisende tun sich manchmal selbst leid und bekommen nach fünf Tagen Einsamkeit Angst durchzudrehen. Allein zu sein ist oft erfrischend, manchmal kalt und selten ein Stahlbad. Umso wärmer aber fühlt es sich an, einen anderen Alleinreisenden zu treffen. Die Menschen, die man allein trifft, lernt man nur kennen, weil man selbst ist, wie man ist. Man lernt sie nicht kennen, weil jemand anders sie anquatscht oder weil sie unsere Freunde interessant finden. Es sind – und das klingt jetzt ein bisschen nach Erich Fromm – echte Begegnungen. Sie gehören einem selbst und niemand anderem. Der Einzelne gewinnt an Wert, wie ein Schluck Wasser für den Durstigen und ein Apfel für den Hungrigen an Wert gewinnt.
Am besten funktioniert das in Ländern, in die kaum jemand reisen will: in Surinam, Bangladesch oder im Sudan. Aus einer zufälligen Begegnung wird sofort eine solidarische Schicksalsgemeinschaft. Schneller als in Usbekistan kann man nicht Freundschaft schließen. Je zivilisierter und erschlossener das Land allerdings ist, desto weniger Spaß macht es, allein dorthin zu fahren. Thailand zum Beispiel ist mittlerweile allein schwer zu ertragen – Thailands Strände sind ein einziges klimatisiertes Liebesnest. In Vietnam stellen Paare mindestens 50 Prozent der Reisenden, was daran liegen mag, dass das Reisen in Vietnam immer noch relativ durchorganisiert und reglementiert ist und sich deswegen auch 35-jährige Netzwerkadministratoren von ihrer vermeintlich abenteuerlustigen Freundin zu einem dreiwöchigen Urlaub breitschlagen lassen – zumal sie das Land ja schon mal in Filmen wie Full Metal Jacket und Platoon gesehen haben.
Nur in den seltensten Fällen braucht ein Pärchen eine dritte Person. Sollte es dennoch vorkommen, stimmt mit dem Pärchen etwas nicht. Entweder ist Pärchenteil A von Pärchenteil B gelangweilt und braucht dringend Abwechslung, oder A sucht einen Verbündeten im Intra-Pärchen-Streit. Den Rest der Zeit führt das Pärchen dem Alleinreisenden vor Augen, wie schön er es haben könnte, wäre er nur nicht allein. Pärchen sind das Schlimmste, was dem Alleinreisenden
Weitere Kostenlose Bücher