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Banatsko (German Edition)

Banatsko (German Edition)

Titel: Banatsko (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Kinsky
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wollten.
    Heute sieht man die Berge, da wird es wieder kalt, sagten manche, und andere sagten: Heute sieht man die Berge, es gibt Regen.
    Kaum jemand in Battonya machte sich je auf den Weg über die Grenze, weder der Städte noch der Berge wegen. In all ihrer Unsichtbarkeit, ihrer unscheinbaren Verstricktheit in Gräser, Tümpel, Haine und Hundsrosenbüsche mit furchigen roten Beeren an den dornigen langen winterstarren Zweigsträngen war die Grenze ein Wall, der sich vielleicht nur mit Anlauf und aus der Fremde überwinden lässt, oder mit einer großen Gelassenheit gegenüber den Unbilden der Geschichte.
    In Battonya sprach man gern von den Dingen, die fehlten. Zwischen langen Schweigepausen öffnete sich plötzlich ein Quell der Worte über Vergangenes, Verschwundenes, Niedagewesenes. Das Leben auf der Ebene war ein Leben in Ermangelung von Bergen, Seen, Meeren, die Abgelegenheit der schlammigen Straßen gestreift von Erscheinungen flüchtiger Gäste, verirrter Zufallsbesucher, denen man nachsann und über die man spekulierte. Wo ich auch hinhorchte, die Namen für den Mangel flossen, sprudelten strömten, wurden zu einem Fluss, der zwischen den Thekenstehern, den Fensterguckern und den Eckenwärtern schwappte und gluckste, jeden Sinn aus den immerselben Worten wusch, dem kleinen Bestand der Erzählscherben, die man sich aus Gesehenem, Gehörtem und Geahntem herausgebrochen hatte und über die Kneipentheken, Fensterbänke und den Boden der Gehsteigecken zuschob, hin und her, bis nichts mehr blieb als die Leere unter dem ungeheuren Himmel.
    Ich wollte mich in dieses nahe Andersland aufmachen, sehen, wie dieses Hierunddort oder Hieraberdort auf der anderen Seite erschien. Auf dem Weg zur Grenze begann es zu regnen. Der Wind schlug mir den Regen mal ins Gesicht und mal in den Nacken. Papiere, Papiere!, riefen die Grenzer im bläulichen Scheinwerferlicht. Ich musste das Innere meiner Taschen nach außen kehren, trockene Erdkrümel fielen heraus. Hinter der Grenze lag Turnu, eine Zweikircheninsel in grausumpfigem Land, mit Wintergras und struppigen Hainen, schmalen Wassergräben, Schilfgras, Wasserlachen voller Himmel. Am Straßenrand liefen nasse Hunde, und im Straßengraben lagen die Körper totgefahrener Hunde. Die Hunde am Straßenrand liefen zielstrebig, aber hoffnungslos. Sie liefen um zu laufen, um ihren Hundetrab nicht zu verlieren oder aufzugeben und in diesem Trab ihrer Lebendigkeit eingedenk zu bleiben.
    Eingangs des Ortes klopfte ich ans Fenster eines Geldwechslers. Ein Mann schob die Hand aus dem Fensterspalt, ich sah sein Gesicht nicht. Die Hand verschwand mit den Geldscheinen. Das Fenster blieb offen. Ein Kind sang in der Tiefe des dunkelgrauen Hauses, eine Frau lachte. Eine Tür fiel zu. Die Männerhand schob sich heraus, jetzt lag anderes Geld darin. Ich nahm es und ging, das Fenster schepperte, als es geschlossen wurde.
    Abseits der Grenzstraße leuchteten die Friedhofskreuze so weiß, dass der ganze Friedhof hell über dem Regenland schwebte. Ein Begräbniszug kroch durch den Schlamm des Feldwegs. Der Pope hatte den Ornat geschürzt, darunter staken seine Beine in hohen Gummistiefeln. Auf einem kleinen Pferdewagen ruhte der Sarg. Eine Fahne versuchte im nassen Wind mit schweren Bewegungen zu flattern. Das Pferd war klein und dick, die Trauergäste mussten nachhelfen und schieben. Eine Kapelle spielte, die Klänge aus den Blasinstrumenten stießen im Regen schief aneinander.
    Ich wartete auf einen Bus. Neben mir stand ein kleiner gedrungener Mann mit einer schweren Tasche. An der Grenze hatte man ihm den Übertritt verwehrt. Er zeigte mir einen zerknitterten Busfahrschein. ›Craiova – Torino‹ stand in hellroten Buchstaben darauf. Aber er war nur bis Turnu gekommen und musste wieder zurück. Im Regen schien seine Tasche immer größer zu werden. Ich schaute ihn von der Seite an, erwartete, ihn weinen zu sehen. Doch er weinte nicht, schaute nur auf seinen Fahrschein und knüllte ihn ein wenig zusammen, glättete ihn aber gleich wieder. Kein Bus kam, er streckte die Hand aus und hielt ein Auto an.
    Nach Arad, sagte er, als hätte er sich in ein Taxi gesetzt, und lud mich mit einem kurzen Nicken ein, auch einzusteigen. Der kleine Mann aus Craiova setzte sich auf den Vordersitz, ich mich auf die Rückbank. Das Auto gab laute Geräusche von sich, die jedes Gespräch erstickt hätten, wäre eines aufgekommen. Hinter Turnu begann ein großes Niemandsland. Schafherden standen mattfarben wie die Landschaft

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