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Banatsko (German Edition)

Banatsko (German Edition)

Titel: Banatsko (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Kinsky
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hatte und im Eingang verharrte.
    Komm herein, sagte er, und winkte mit einer Hand. Im Treppenhaus darf man nicht lungern.

DAS WERK
    Früher haben alle im Werk gearbeitet. Alle in diesem Haus, auch alle aus der Umgegend. Jeder wünschte sich, in diesem Haus zu wohnen, weil es dem Werk am nächsten lag.
    Einem Fremden könnte es so vorkommen, als sei das Werk weit entfernt. Doch diese Entfernung ist nichts, es ist Nähe verglichen mit den Entfernungen, die andere zurückzulegen hatten. Man sieht es von weither, aus der Stadt Arad, und von den Hügeln hinter Arad. Es ist das größte Werk weit und breit. Für jeden gab es Arbeit.
    Was wir herstellten und anfertigten, haben wir nie gefragt. Es änderte sich wohl auch. Immer wieder neue Gerüche, neue Geräusche, neue Materialien, die uns durch die Hände gingen. Wir hatten unsere Aufgaben, und damit fühlten wir uns wohl. Unsere Aufgaben wurden uns mit der Zeit zur Neigung. Jeden Tag legten wir den Weg zurück, hin und her, ein schmaler Pfad durch das Brachland. Beim Hinweg wie beim Rückweg hatten wir sommers die Sonne im Rücken, in der dunklen Jahreszeit sahen wir die Sonne nie, höchstens als einen schmalen bunten Streifen am Horizont. Stolpernd suchten wir den festen Boden des Pfads durch das sumpfige Land, zwischen den sirrenden Strommasten hindurch und an den Ölpumpen vorbei.
    Die anderen hatten den Vorzug auf der Straße zu gehen, für einige kamen sogar Busse, aber dafür hatten sie einen weiteren Weg, und manchmal stellte ich mir vor, wie das Werk für sie ein so kleiner Schatten am Horizont sein musste, dass sie sich fragen mochten, ob sie wirklich in diesem kleinen Spielzeugschatten ihren Tag verbracht hatten.
    Lange hieß es, dass sich zu unserem Block noch andere gesellen sollten. Es gab Gerüchte, die von einer großen Siedlung hier sprachen, dabei ist es ja Sumpfland. Der Boden hier trägt nicht viel mehr als eine Ölpumpe oder einen Strommast. Ich stelle mir gerne vor, dass unser Block allein auf einem unsichtbaren Stein ruht, der unter einer Schicht Sumpfland bis in die Mitte der Erde reicht.
    Wir haben hier nie viel von der Welt mitbekommen. Das Werk war unsere Welt, und die Ereignisse zwischen uns Arbeitern erfüllten uns. Wenn unsere Hände einander unversehens streiften, unsere Augen sich begegneten, wenn es zu kurzen heftigen Wortwechseln kam, weil jemand eine Handreichung versäumt oder falsch ausgeführt hatte, wenn die Gleichmäßigkeit unseres Handelns unterbrochen wurde, nur dann geriet etwas in uns in Wallung und Bewegung.
    Auf dem Weg zum Werk und zurück in den Block schwiegen wir. Wir kannten einander, an den wenigen freien Tagen standen wir auch gemeinsam draußen auf dem Vorplatz. Dann blinzelten wir in die Sonne und schauten hinüber zum Werk, das uns an diesem Tag verschlossen war. Wir sprachen jedoch selten miteinander, als wäre das mit unserer Arbeit unvereinbar.
    Auch als die Umwälzungen kamen, merkten wir erst wenig davon. Ringsum brandete Unruhe, wie heute jedermann weiß, doch hier, auf dieser von allen Seiten her einsehbaren Ebene, war es still. Es war Winter. Das Sirren der Strommasten zitterte dünn und hoch über der ganzen Ebene. Es war so kalt, dass manchmal Vögel erfroren aus der Höhe herunterfielen. Irgendwann blieben die Arbeiter aus den ferner gelegenen Orten aus. Gerüchte kamen auf. Im Werk bekamen wir immer spärlichere Lebensmittelrationen zugeteilt. An manchen Tagen fehlte das Brot. Etliche wollten die Arbeit niederlegen. Manche verließen das Werk, unterbrachen die Arbeit mitten in einem Vorgang, als hätte sie der Unmut ganz plötzlich überfallen wie ein Fieber, sie legten ihr Werkzeug nieder und gingen hinaus. Unsere Aufseher schwiegen.
    Eines Tages hörten wir Schüsse aus der Ferne. Eine Stimmenwoge, die hin und her schlug, doch kaum näher kam. Auch wir aus dem Block wussten, dass nichts mehr so sein würde, wie wir es gewohnt waren. Wir wurden alle nach Hause geschickt. Eine Handvoll Leute, die an anderen Orten wohnten, kamen mit uns. Sie hefteten sich einfach an unsere Fersen und ließen sich hier nieder. Im Schatten der Ereignisse erschlichen sie sich das Wohnrecht in unserem Block.
    Kurz darauf schloss das Werk. Es blieb lange geschlossen. Dann hieß es endlich wieder: Zurück an die Arbeit! Auch wenn wir nicht darüber sprachen, wir konnten es kaum erwarten, wieder in die großen Hallen einzuziehen und zu tun, was wir so lange getan hatten, was der Inhalt unseres Lebens gewesen war. Doch das Werk

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