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Banatsko (German Edition)

Banatsko (German Edition)

Titel: Banatsko (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Kinsky
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hatte, waren zum Teil beschneit. Dann holte der Schnee wieder Atem und fiel weiter. Die Erde wurde zugedeckt, die Zweige und äste der Bäume trugen eine weiße Spur auf ihren Rücken. Die Männer setzten ihre Pelzmützen auf, Serben-, Rumänen- und Ungarnmützen, und alle Pelzmützen trugen eine kleine Schneedecke. So ging es tagelang. Der Schnee fiel und schwieg und fiel und schwieg. An das Heulen des Windes konnte man sich gewöhnen. Die Hunde gaben keinen Laut. Kein Vogel sang mehr. Sogar die Krähen waren stumm. Ihr Flug war scharf und eckig.
    Eines Tages traf ich Attila. Er trug keine Pelzmütze, denn er war aus einer Gegend, in der man keine Pelzmützen trug. Einmal hatte er gesagt, er sei von weit her, und es stellte sich heraus, dass er aus einer Stadt im Westen des Landes war. Dort gibt es Berge, sagte er damals, als mache das die eigentliche Entfernung aus. Seine Augen sahen aus wie zugefroren, ein trübes grünliches Blau, das sich duldsam durch den Winter träumen wollte. Wo bist du gewesen?, fragte ich ihn, und ich sah, wie er sich unter meinen unbeholfenen Worten ein wenig duckte, wie zu einem Kind, oder so, als wären wir jetzt beide zwei ratlose Kinder im Schnee.
    Ich war nie fort, sagte er, ich bin jetzt Wächter in einem großen Geflügelstall.
    Wie geht es den Zicklein?, fragte ich, und Attila sagte: Die haben wir geschlachtet.
    Auf ungarisch war dieser ganze Satz Die haben wir geschlachtet ein einziges Wort, und dieses eine Wort fiel stumpf durch die kalte Luft, aber da war nichts, was es hätte zerhacken können, es blieb nur so halbstumpf, halbscharf in der eisigen Luft hängen, und ich wusste, dass ich es nie vergessen würde, auch nicht, wie er seine Hände, für die er keine Handschuhe hatte, bei diesen Worten unter seine Achseln schob, eine ganz unsinnige Geste, denn seine Jacke war von außen bitterkalt wie der Wind und der Schnee. Im Fortgehen sah er aus, als hätte ihn sein eigenes stumpfes Hackwort geschlagen, denn er zog den Kopf zwischen die Schultern wie jemand in ungewisser Furcht vor einem weiteren Hieb.
    Nachmittags ging ich spazieren. Ich stemmte mich unter den Wind, der sich an endlosen Strecken Landes gerieben und getrocknet hatte, Baumrinden, Hauswände, Dächer, Haut schnitt und schmirgelte. Gelegentlich kam ich an den Geflügelställen vorbei. Sie sahen aus wie niedrige Baracken, erfüllt von einem fahlen Neonlicht und dem vibrierenden Summen der Ventilationsmaschinen, die aus einzelnen Luken einen betäubenden Gestank nach draußen stießen. Ich fragte mich, ob Attila in diesem Gestank stand und wachte, oder ob er einen kleinen Bretterverschlag außerhalb des Stalls hatte, in dem ein Stuhl Platz fand, und eine Lampe. Ob und wie es möglich sein würde, sich jemals eines solchen Gestanks wieder zu entledigen, ihn zu vergessen. Worin bestand die Wächterschaft in einer Geflügelbaracke? War er ein freundlicher Hüter über die Scharen kahlnackiger Vögel? Es würde seine Aufgabe sein, eine für den ungeübten Betrachter unabschätzbare Menge Fleisch vor dem Diebstahl zu bewahren, doch auch, keinen Vogel aus dem fetten Schwarm entweichen zu lassen. Sicher starrte er aus seiner Wächterkammer in den frühen blauen Abenddämmer und hielt Ausschau nach solchen, die nach dem Fleisch trachten mochten. Nachts benutzte er eine Taschenlampe, um verdächtigen Geräuschen auf die Spur zu kommen. Vielleicht musste er wie der Bauernsohn im Märchen beim Bewachen des goldenen Apfelbaums den Schlaf bekämpfen wie einen Feind, der ihm dabei doch Gutes wollte. Und unterdessen war er ein kleiner, einer der kleinsten Handlanger des Todes, indem er ja nur eine vorzeitige Schlachtung auch des geringsten unter diesen zu ihrem eigenen Gestank verurteilten Vögeln zu vereiteln bestellt war, damit die vorgesehene Gesamtschlachtung glatt und wohlberechnet vonstatten gehen würde. Womöglich würde der treue Wächter noch vor der Gesamtschlachtung entlassen, so dass man ihm nicht einmal ein Stück frischblutiges Gnadenfleisch auf den Lohn würde legen müssen. Ansonsten, so sagten sie wohl in den winterabendlichen trüb beleuchteten Büros, über die Zahlenkolonnen ihrer Fleischpläne gebeugt, ansonsten hätten wir uns ja einen Wächter gleich sparen können, wenn er uns jetzt das wegessen soll, was seine Anwesenheit uns gegen Lohn zu erhalten vermocht hat.

HUNGER
    Die Straßen waren leer. Es gab wenig zu tun. Im Geschäft verfaulten die Karotten und Rüben, die wurmstichigen wässrigen äpfel. An den

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