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Banatsko (German Edition)

Banatsko (German Edition)

Titel: Banatsko (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Kinsky
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der Straßenlaternen spiegelte sich darin, und ich dachte an den Winterabend, an dem mein Großvater überfahren wurde. Es war kalt und dunkel, meine Mutter hielt meinen Vater wie eine Puppe, jemand sagte: Er ist tot, und ich dachte, es gehe um meinen Vater.
    Jahre später zeigte mein Vater uns die Unfallstelle, wir fuhren langsam daran vorbei, hinter uns hupte jemand, es war Abend, die Straßenlampen warfen weiße Flecken auf die Pfützen.
    Wir dürften nicht zum Begräbnis, kleine Kinder, die wir waren, und saßen allein im kalten Licht der Küche, in der Obhut von Fremden. Du musst weinen, sagte meine Schwester, wenn du nicht weinst, hast du ihn nicht geliebt, da musste ich lachen.
    Attila arbeitete jetzt am jüdischen Friedhof. Das Bürgermeisteramt hatte ihm einen blaugrünen Arbeitsanzug geschenkt, wie ihn viele Männer hier trugen, und ihn mit Ausbesserungsarbeiten betraut. Die alten Lücken im Zaun sollten geschlossen werden. Attila befestigte den Maschendrahtzaun wieder an den Eisenpfosten, dazu kam noch ein Stacheldraht. Der Stacheldraht lag in großen Rollen im halbverschneiten Wintergras.
    Lass mir eine Stelle offen, sagte ich zu ihm, sonst kann ich nicht mehr auf den Friedhof.
    Was willst du hier auf dem Friedhof?, fragte er. Hast du hier etwa einen?
    Er streckte die Hand flach aus, zwischen den Fingern qualmte eine Zigarette, während er mit der Handfläche über den Anblick des verbliebenen Häufleins von Grabsteinen strich.
    Darauf wusste ich nichts zu sagen.
    Eine Stelle blieb offen, am hinteren Ende des Zauns, dort war der Draht nur übereinandergeschoben. Ein Zettel hing zwischen den Maschen, damit ich die Lücke fand, der Zettel war leer.

ARAD
    Ich nahm den Zug nach Arad. In den Abteilen saßen Frauen, die am Morgen große schwarze Säcke mit Zigaretten nach Ungarn gebracht hatten und jetzt Fleisch zurückschafften, große Kartons mit gefrorenen Truthahnteilen. In den Zugtoiletten rissen sie die Kartons auf und stopften die nackten Vogelstücke in die schwarzen Zigarettensäcke. Sie saßen auf ihren Sitzen, hielten die Säcke zwischen die Beine geklemmt, rauchten und lachten. Auf dem Bahnhof in Arad quietschten und scharrten die Züge auf allen Gleisen. Die Leute schoben einander hin und her, auf die Bahnsteige, durch die Türen, in die Züge, aus den Zügen, mit Körben, Kindern und Koffern, viele Männer mit hohen Pelzkappen, die Frauen mit wollenen Kopftüchern, die Kinder mit grellbunten Mützen und Handschuhen. Es roch nach Bratfett und Urin. Die Sonne schien tief und grell in die Fenster der Bahnhofshalle. Staub hing in der Luft und die Spuren von zertretenem Schnee glänzten auf den rissigen Bodenplatten. In einem Seitenflügel schwankten Männer und Frauen um ihre Flaschen und riefen einander mit schiefen schwerzüngigen Stimmen einzelne Worte zu. Alle ihre Rufe waren kurz, ein, zwei Laute, die sich in der Luft ineinander verschlangen, aneinander hängenblieben, an den Fenstern und den bekritzelten Wänden klebten. An der Wand lag ein Mann in einem grünen Anorak. Er war groß und dünn. Die Sonne schien auf sein Gesicht wie auf kaltes Wachs. Sogar die Bartstoppeln sahen aus wie aus Wachs. Vielleicht lebte er nicht mehr. Man hielt Abstand zu ihm, zwei kleinwüchsige Polizisten kamen, machten sich an seiner Jacke zu schaffen und suchten nach einem Ausweis.
    Vor dem Bahnhof lag der alte Schnee in großen Haufen, dazwischen Pfützen vom geschmolzenen Schnee, die am Abend zufrieren würden. Der eine oder andere würde auf den Pfützen ausrutschen und zu Boden stürzen, vielleicht sich Hand oder Kinn aufschlagen, vielleicht in trunkener Schwere liegenbleiben, bis ihm die Kameraden aus der Bahnhofsvorhalle aufhelfen oder ihn in ihr Obdach schleifen würden. Die Kinder mit den bunten Mützen würden indessen irgendwo an ihr Ziel gelangt sein, womöglich würde auch der wächsernstopplige Mann, wenngleich noch etwas benommen, zu neuem Leben erweckt, zwischen seinen Genossen sitzen, denn in der Gemeinschaft ihrer Mäntel und Jacken und Mützen würde es ihnen allen in diesen doch immer noch bitterkalten Nächten wärmer sein.
    Abseits des Eingangs wurden Geschäfte geführt. Männer redeten, feilschten, ballten die Fäuste und spuckten vor ihren Lieferwagen aus. Eine Frau mit langen Röcken trug einen Korb mit Hemden in schimmerndem Zellophan. Vor ihr schritt ein junger Mann mit Schnurrbartschatten in dem weichen, dunklen, unsicheren Gesicht, vielleicht ihr Sohn. Er balancierte zwei Hemden auf den

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