Banatsko (German Edition)
Sie, ich bin Spezialist für Grenzgestein, erklärte er. Er lachte unvermittelt, ein dünnes, zaghaftes kleines Lachen, das unsicher klang, probenhaft. Er zog die Hände zurück. Auf dem schwarzbraunen Grund seines Aktentaschenfutters lagen Kiesel und kantige Brocken in unterschiedlichen Farben und Größen, dazwischen zerknitterte Zettel mit kleinschriftigen Notizen, lädierte Sofortbildaufnahmen, rot- und blaustichig von schwankenden Temperaturen und Alter.
Das, sagte Antun, und griff mit beiden Händen in die Steinbrocken: Das ist mein Leben!
Um seinen Mund zuckte es bitterlich.
Dieses Gestein stammt von allen möglichen Grenzstrecken, erklärte er. Man sandte mich überallhin. Unzählige Meter, Kilometer Grenzland habe ich abgeschritten, oft unter Einsatz meines Lebens habe ich Kiesel, Quarze, Felsensplitter ergattert und erobert, ich habe sie vermessen, beschrieben, katalogisiert, stets dem Wetter in all seinen Launen ausgesetzt, unverzagt lebte und arbeitete ich im Dienst meiner Vorgesetzten, die den Unterschied zwischen dem Hier und dem Dort zu untermauern suchten. Ich war ein gehorsamer Forscher, liebte unser Land, umschlossen von seiner Grenze, ich glaubte daran, dass dieses stille Band alles zusammenhielt, was unser Leben ausmachte.
Antun wölbte die Hand um einen großen Stein, der aussah wie ein kleines Gebirge.
So verlief mein Leben, immer im Schein der Grenze, stets ihrer eingedenk, auf der fürsorgenden Suche nach ihrer Wahrheit, denn so sah ich mich gern, als einen Wahrheitsforscher. Eines Tages war ich im Osten unseres Landes unterwegs. Ich erinnere mich an das Stechen der Sonne an diesem Morgen, an die Schatten die die Wolken warfen, an einen scharfen Brennnesselgeruch, der sich mir in der Kindheit immer mit verbotenen Orten verbunden hatte. Ich bückte mich und griff nach zwei beliebigen Steinen diesseits und jenseits der Grenze. Ein scharfer Schmerz traf mich im Nacken, eine kurze Dunkelheit, vielleicht gar Ohnmacht, aus der ich taumelnd auftauchte, die Hand um diese beiden Steine gekrallt.
Er steckte die Hand in die Tasche und legte zwei kleine glatte Kiesel auf den Tisch, grau, dünnweiß geädert.
Ich wusste nicht mehr, welcher auf diese, welcher auf jene Seite gehörte.
Antun knetete nervös die Hände neben dem geöffneten Aktenkoffer, die Augen schweiften, suchten einen stillen Halt, vielleicht fand er ihn im Rücken der Kellnerin, die jetzt einem gleichmütigen Volksmusikprogramm lauschte.
Es war eine plötzliche Erkenntnis, fuhr er fort. Das Wesentliche ist der Stein, nicht die Grenze. Ich hatte etwas im Gestein gesucht, was es gar nicht gibt, und unterdessen alles wirklich Gesteinige außer Acht gelassen. Im Gestein nämlich finden wir die Verkörperung eines jeden erdenklichen Schmerzes, den das menschliche Herz zu erleiden vermag. Selbst diese glatte Rundung hier, die Zartheit der weißen Adern, die Gefälligkeit der Form, die sich so zutraulich in die Hand schmiegt – das alles ist erschliffen, es ist das Ergebnis einer langen, schmerzensreichen Reibung an anderer, auf irgendeine Weise mächtigerer Masse.
Antun machte eine Pause, in der er mit einer Hand behutsam und beschützend über den Inhalt seines Koffers strich, dann klappte er den Deckel wieder zu und ließ die Schlösser einschnappen.
Ich hatte große Pläne für einen Katalog, raunte er. Alle diese Spiegelbilder der Natur sollten entschlüsselt werden, jedes einzelne, doch dann kam der Krieg. Sie haben doch davon gehört?
Er strich sich mit einer hastigen Bewegung übers Haar, verlegen, unruhig.
Natürlich haben Sie von unserem Krieg gehört. Menschenscharen auf der Flucht, Erdrutsche, Trümmerfelder, neue Gebirgsformationen über den Massengräbern, die Wurzeln der Bäume verfaulen vom Blut, die Luft schwer von Heulen und Wehklagen, von Gestank und Kampfesschreien, der Schnee fällt schwarz. In den felsigen Tälern nur noch magere Greisinnen und Ziegen, die über zerborstene Leben klettern, nach Essbarem scharren, Verrohung der Kinder vor unseren Augen, Unschuld ein Wort aus alten Texten, zerfleddert im auseinandergerissenen Hausrat, eine Buchstabenzeichnung auf vergilbten Seiten, die uns wie die Federn geschlachteter Vögel in verlassenen Wohnungen entgegenschweben. Das Herz wird Legende.
Er verstummte, in dem leeren Lokal traf sein Schweigen auf eine Pause in der Volksmusik, seine letzten Worte spreizten sich sekundenlang über unseren Köpfen.
Mein gesamtes Vorhaben der Stein- und Herzenskunde wurde mit
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