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Banatsko (German Edition)

Banatsko (German Edition)

Titel: Banatsko (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Kinsky
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auf ihrem Feld auf und ab.
    An den Straßenrändern wurden die Bäume geschnitten und das Reisig verbrannt. Die Luft roch überall brandig, die Arbeiter tranken verstohlen Bier hinter den dicken Baumstämmen. Abends hinterließen sie schwarzverkohlte Geländestreifen, der Himmel war hell bis tief in den Dämmer.
    Ich wusste nicht mehr, was mir fremd und was vertraut war. Ich sah den Winter gehen, ich streifte an der Grenze entlang, in die Nachbarländer hinein, begann kleine Dinge zu fotografieren, deren Sinn sich mir vielleicht enthüllen würde, wenn ich sie auf einem Bild sah.
    Attila sollte eine Mauer zum Hühnerhof meines Polizistennachbarn bauen. Die Polizistengroßmutter Margit fütterte die Hühner und sprach dabei in leisen gurrenden Lauten mit ihnen, ihre kurzen weißen Haare standen in alle Richtungen ab, wie gesträubte Federn. Beim Sprechen schaute sie immer in die Ferne. Ihre Stimme war dunkel und angestrengt, als müsse sie eine Person in ihrem Innern mühsam zum Sprechen bewegen. Einmal erzählte sie mir, unter der Treppenschwelle ihrer Haustür lebe eine Schlange. Ich stellte mir diese Schlange weiß vor.
    Unter Margits Haustür lebt eine weiße Schlange, sagte ich zu Attila, als er die Fundamente für die Mauer aushob. Ja, das kann sein, sagte er, dabei blinzelte er in die schwache Sonne.
    Samstags bezahlte ich Attila die Arbeitsstunden der Woche. Er schrieb die Zahl auf einen kleinen Papierschnipsel und legte ihn leise auf den Tisch. Ich schob ihm das Geld zu, dann tranken wir Wein auf der kalten Veranda. Attila erzählte mir von seiner Arbeit in Italien und in Deutschland, kleine Abenteuer in der Fremde. Ich verstand genug, um zu begreifen, dass es um die Fremde ging und sonst nichts. All seine Worte, die ich nicht kannte, und von denen er wusste, dass ich sie nicht kannte, waren nur das Gerassel der Fremde, das er mir mit seinen Handbewegungen und Blicken mitzuteilen suchte. Auch er war in der Fremde gewesen. Ich fragte mich, ob er dort die Männer- und die Frauensprache erlernt hatte, die nichts mit den Worten zu tun hatte, die sich durch sie rankten.
    Wenn wir auf der Veranda saßen, lernten wir kleine Lektionen der Vertrautheit, jenseits der Sprache. Was wir sagten, war Zubehör, das Mobiliar einer Intimität, an dem man sich festhalten kann, wie die festverschraubten, dick lackierten Tische und Bänke auf dem Deck eines Ozeanschiffs.
    Attila sah ein Foto, das ich gemacht hatte, es zeigte eine leere Kinderschaukel.
    Warum machst du solche Bilder?, fragte er.
    Ich betrachte die Sprache der Dinge.
    Die Pappeln in meiner Straße rauschten schon in Erwartung des Laubs, in ihrem schütteren Schatten schäkerte ein bärtiger Mann mit der Zigeunerin Zsuzsa, der die Beine abhanden gekommen waren. Er lachte und neckte mit den Händen, er griff und zog, sie sagte kein Wort dabei, er lachte bloß, neigte den Kopf und stieß ihn gegen ihre Brust.
    Die beinlose Zsuzsa mit schwarzem Haar war in einem motorisierten Rollstuhl unterwegs. Auf der Rücklehne klebte ein Landeskennzeichen, als wollte sie mit ihrem Rollstuhl Grenzen überqueren. Dabei reiste sie nie, ins Ausland gewiss nicht. An Feiertagen war sie der Mittelpunkt einer vielköpfigen Familienschar, die sich zu einer verwandten Familie am anderen Ende der Straße begab, oder, mit bunten Plastikgestecken in den Armen, zum Friedhofsbesuch. Nun hatte der Bärtige ein Frühlingsauge auf Zsuzsa geworfen, die den Kopf zurücklegte und in raschen Stößen kicherte, dabei schüttelte sie das lange schwarze Haar, und der Bärtige setzte sich, kaum beschattet von den rauschenden dünnen Pappeln, und ungeniert, rittlings auf Zsuzsas Gefährt, gab Laute von sich. Sie presste eine Tüte mit Suppengemüse und Zitronen an die Brust, die hatte sie eben gekauft, da wusste sie vielleicht noch nichts von des Bärtigen Späßen, jetzt lachte sie auch mit sandtrockener Stimme und schüttelte die Haare. Bei welchen Namen sie einander wohl nennen?, fragte ich mich im Vorbeigehen.
    Die Ziegen meckerten schrill in ihren Ställen und brachten kleine Zicklein zur Welt. Man schnitt die Bäume, zündete große Feuer an, allenthalben hielt man Ausschau nach etwas, blickte zum noch unverstellten Horizont, unter, hinter der Sonne, gegen die Sonne, stets in der Hoffnung, irgendetwas kommen oder gehen zu sehen. Der Akkordeonspieler gab wieder lange Lieder zum Besten, die keinen Anfang und kein Ende hatten, ausnahmsweise lachte er zwischen den Liedern, ein seltenes Freiwerden seiner

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