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Banatsko (German Edition)

Banatsko (German Edition)

Titel: Banatsko (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Kinsky
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fühlte sich der Wind noch bitterer an als im Februar, Stein, Erde, Holz und welkes Gebüsch graugefroren, der Himmel weiß und ungefähr. In einer Kneipe saß eine kleine Gesellschaft um Wassergläser mit Schnaps, ein riesiger Fernseher lief ohne Ton, der grüne Rasen des sonnigen Fernsehlands spiegelte sich bläulich im Fliesenboden. Die Trinker hockten auf niedrigen Stühlen, manche in Mütze und Schal, sie warfen sich verdrossene Worte zu, einer thronte in einer Insel aus Uringeruch auf einem zierlichen weißen Gartenstuhl aus Kunststoff. Jancsi, sagten die anderen zu ihm, Jancsi, so kannst du dich doch nicht behandeln lassen. Jancsi hob die Hand, als wollte er Schweigen gebieten. Eine Frau muss …, sagte er, eine Frau muss … Dann sagte er nichts mehr, die anderen murmelten für ihn weiter, sie sagten einander, was Frauen mussten und sollten, und eine alte Frau mit struppiger Nase nickte dazu, sie hatte die fast blauen Hände fest um ihr Glas gelegt.
    Die Theke stand schief, mit holzgemaserter Klebefolie überzogen, das letzte, mitgenommenste Stück Zubehör aus der großen Requisitenkiste mit der schrägen Aufschrift: ›Kneipe‹.
    Der Wirt war jung, nüchtern, er sah aus wie ein gewissenhafter Lehrer. Gedankenverloren blickte er über seine Gästeschar und den Fernseher hinweg, zum Fenster, vielleicht auf das mit bunten Schleifen dekorierte Bild der Magyarcsanáder Fußballmannschaft im ausgebleichten Sommergrün ferner Zeiten. Kann ich Ihnen helfen, fragte er, ebenso abwesenden Blicks, dann erklärte er mir den Weg zum Fluss. Dabei ruderten seine Arme in großen Bewegungen durch die Luft, es ist ganz nah, wirklich, ganz nah, versicherte er.
    Er folgte mir hinaus, ließ die Tür aber nicht zufallen, um sein Schulklässlein nicht ganz im Stich zu lassen, die kleine Herde Schutzbefohlener, die sich in seiner Obhut auf krummgesessenen Gartenstühlen ihr Innerstes wärmte. So blieb er stehen, bis ich außer Sichtweite war, ich sah ihn im Rückspiegel, wie er meine Fahrt aus der wachsenden Ferne dirigierte.
    In Apátfalva kam man zum Fluss, hinter einem Gebirge aus Sand- und Kieshaufen mit einer Ansammlung alter Bagger. Daneben eine Anlage mit Trichter und Schütte, ein Ding ohne Namen aber mit einem Klang, so hatten sie in den Kiesgruben am Rhein gestanden, als ich Kind war, manchmal hörte man in der Nacht das laute Rauschen der Erde durch die Trichter und das Kollern des Kieselschotters auf die Ladeflächen von Lastwagen, dazwischen das stete Tuckern der Kähne auf dem Fluss, das die Nacht so groß und leer erscheinen ließ, Geräusche, die im Dunkel eine ganz andere Welt zeichneten als man sie am Tag sah, sie wischten Häuser und Stimmen weg und breiteten unter dem Himmel eine Landschaft der großen Dinge aus – der Fluss, die Kiesgruben, die Maschinen, eine Welt, die ohne Worte funktionierte, auf ihr eigenes Geheiß.
    Der Maros lag sehr still und glatt, wie Polster wölbte sich das rotbraune und graue Winterdickicht um die Ränder. So seltsam erschienen mir alle Flüsse hier, von keinem Weg gesäumt, immer verborgen, versunken hinter Gebüsch und Wald, am Fuße hoher Mauern und Deiche, und so still ergriffen sie von dem umliegenden Land Besitz, wenn mehrmals im Jahr das Hochwasser kam. Hier, wo der Kies gefördert wurde, war eine Bresche im Uferwald, auf der anderen Seite lag Rumänien. Im Fluss standen drei massige Stümpfe, die einmal eine Brücke getragen hatten, von der niemand erzählte, die nirgends verzeichnet war, breite gemauerte Ziegelpfeiler, gelblich braun und rot im Licht der Sonne, die jetzt ganz klein über den dünnen Wolken hing. Meine Großmutter hütete ein kleines Album mit Hochwasserbildern ihrer Heimatstadt, braungelbe Fotografien einer Flut, die zwischen den Kriegen Menschen und Häuser davonriss, und die Brücke, über die meine Großmutter täglich gegangen war, zum Einstürzen brachte, von Bild zu Bild wurden die Wellen dieses stillen kalten Flusses wilder, die Brücke knickte ein und sank, verschwand, die kleine Stadt brach entzwei.
    Landeinwärts verlief ein Weg am Uferwald entlang, oberhalb des Flusses. Durch kahle Baumkronen sah man die Dächer und Kirchtürmchen von Apátfalva, auf den Feldern die Krähen, im Gezweig die Elstern, ein Bild, in dem man verlorengehen könnte, wären nicht die Vögel, sie stiegen auf, stritten, schnarrten, kreischten und saßen wieder still.
    Am Nachmittag stand ich am Grenzübergang nach Serbien jenseits des Maros. Eine kleine Budengrenze mit

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