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Banatsko (German Edition)

Banatsko (German Edition)

Titel: Banatsko (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Kinsky
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einer Schranke, zwei Männer in schweren fellgefütterten Mützen mit Ohrenklappen, die ihr Grenzlein bewachten. Früher und andernorts nannte man diese Kopfbedeckung gerne Russenmützen. Beide Männer lächelten unter ihrem Fellkränzchen hervor und blinzelten in die Sonne. Der kleine schüttere Wald im Hintergrund, das Weidicht, kleine leere Felder, alles wirkte rot in diesem Licht, ein Rot wie auf Gemälden kühler Länder, hoch im Norden, ein Nachwinterrot. Ich dürfte die Grenze nicht überqueren. Dieser Übergang ist nur für Hiesige, erklärte einer der Grenzler und legte die Hand bestätigend auf die Schranke. Auf den roten Feldern diesseits und jenseits der Grenze hatten sich Krähen gesammelt, große Schwärme, sie pickten in den Schründen zwischen den Erdschollen, sie saßen im roten nackten Gezweig der Weidenbäume, flogen auf, ihr Flug schrieb etwas an den Himmel dieses Nachmittags, das ich nie verstehen würde.

KANIJŽA
    Der Wind wehte wieder kalt. Alles duckte sich in die Farblosigkeit, die Geschäftsschilder und die rostigen Balkone der Wohnblocks. Menschen standen in Gruppen, an einer Bushaltestelle, vor einer Autowerkstatt, unter kahlen Bäumen einer kleinen Grünanlage. Nichts rührte sich, ein Wartetag. Am Marktplatz lehnten sich die Verkäuferinnen faul und freundlich über die Theken, aus der kleinen Ofenwärme ihrer Stände hinaus in den Wind. äpfel, Apfelsinen, getrocknete Bohnen. Schrumplige Granatäpfel. Ich dachte an einen Tag in schräger Oktobersonne in Belgrad, als Käufer Stapel von Granatapfelkisten heimtrugen, auf hochgereckten Händen über dem Kopf, durchs Gedränge, die Steintreppen hinunter zum Bahnhof. Der Herbstdämmer kam damals früh, Teedampf beschlug die Scheiben kleiner Cafés, zuckerstarres Gebäck verschwamm in den Auslagen, während auf hochgereckten Händen weitere Schätze heimsegelten, von denen hier auf dem grauen Markt nur noch Schrumpelwerk zeugte.
    Die Kneipen waren geschlossen, es war ein ordentlicher Mittag, an dem der Wind alles übernahm, sogar die Geschäfte wollte niemand öffnen, und die stillen kleinen Artikel in den Auslagen – Puddingpulver, Schokoladentafeln, Likörflaschen mit Aufschriften und Bildern, die mir aus fernen Jahren zuwinkten – all das bettete sich reglos und ungetrübt ins Grau.
    Ein Lokal war geöffnet. ›Venezia‹ stand auf einem Schild über der Tür, im Dämmerwinkel am hintersten Tisch kämmte sich eine Kellnerin die blassen Locken. Am Fenster saßen zwei Männer, sie tranken Tee und sprachen auf Ungarisch über schwierige Dinge. Das Leben, hörte ich immer wieder. Aber das Leben! Die blassgelockte Kellnerin reichte mir eine klebrige Speisekarte mit Gerichten, deren Namen nach nichts klangen.
    Ich bekam eine Speise, ein blauer Bus hielt an der gegenüberliegenden Haltestelle und sammelte die Wartenden auf, einer der Männer verließ das Lokal, wobei er sich vor der Kellnerin verneigte.
    Der andere Mann gesellte sich zu mir. Wie in Erfüllung einer Aufgabe nahm er an meinem Tisch Platz. Unter dem Arm trug er einen flachen Aktenkoffer, sein greises Haar stieß auf den Kragen seiner Jacke.
    Willkommen in dieser Gegend , sagte er auf Serbisch. Seine Augen waren vogelgrau, die Farbe von Wintergefieder.
    Er sah mir beim Essen zu, als ich fertig war, sagte er:
    Ich heiße Antun. Das ist ein internationaler Name. Wissen Sie, jeder, der ihn hört, weiß ihn sogleich in seiner Sprache zu verstehen, als Anton, oder Antonio, oder als – Anthony.
    Er sprach die ausländischen Namen mit großer Andacht und insbesondere den englischen mit einer bemühten, gehauchten Eleganz aus.
    Seine Sprache war ein Melodiengewoge, wechselte von Wort zu Wort die Seiten ihrer Zugehörigkeit. Mit einem Anflug von Stolz neigte er den Kopf in den Nacken. Er griff nach seiner Aktentasche und spielte mit dünnen Fingern an den verkratzten Schlössern. Seine winterfiedrigen Augen schweiften zum Fenster und zurück. Mit gespreizten Händen fuhr er immer wieder über sein Köfferchen, das er nun flach auf den Tisch gelegt hatte. Die Haut seiner Hände war rau, rötlich, als seien sie stets Wind und Wetter ausgesetzt, obwohl seine Kleidung fast etwas Amtliches hatte, auf jeden Fall war es eine Stubenkleidung, eine Schreib- und Rechenkleidung.
    Er ließ die altmodischen Schlösser seines Aktenkoffers aufschnappen.
    Vielleicht interessiert Sie, was sich in meinem Koffer befindet, begann er zögernd, breitete aber noch schützend die Hände über den Inhalt.
    Wissen

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