Banatsko (German Edition)
als wüsste er nicht, worauf er wartete.
Was hast du heute gemacht?, fragte ich dann.
Gearbeitet, sagte er.
Ich erzählte ihm in meinen Stückelworten, was ich gesehen hatte. Ich brachte Kiesel mit, Blumen, abgeknipste Filme, den Staub von der anderen Seite der Grenze. Er strich über die Steine oder die Blumen, dann ging er nach Hause.
Attila arbeitete weiter im Kino. Er ließ die Eingangstüren offenstehen, die bräunlich-goldgemusterten Vorhänge blähten sich im Durchzug, die Sonne schien ins Foyer. Das Kino behielt seinen Geruch weit entfernter Zeit. Die schweren Wollvorhänge mit den Kunstlederkanten hielten ihn fest, der rötliche Linoleumboden, die hellbraunen Sessel, er widerstand jedem Luftzug, womöglich sogar jedem Wasser und Reinigungsmittel. Ich saß im Dunkel und dachte an das Kino meiner Kindheit, ein Kino, in dem von morgens bis abends dasselbe Programm lief, ein Kino am Bahnhof, ein Aufbewahrungsort der Zwischenzeiten, für Heimatlose, Ortlose, in das mein Vater uns schob, wenn er nichts mit uns anzufangen wusste, wo wir auf ebensolchen Sesseln wie in Battonya hockten und die flackernden Bilder ferner Kriege und wilder Tiere über unsere Gesichter streiften, wo unrasierte Männer in den dunklen Hinterreihen schliefen, Leute kamen und gingen, während wir sahen, was es zu sehen gab, bis mein Vater uns abholte, uns im Dunkel fand und aus den Sesseln zog, flüsternd, tastend, durch den dicken Vorhang mit den kalten Kunstlederkanten drückte, die weinenden Frauen, unfehlbar lustigen Familien und schießenden Soldaten hinter uns blieben, bei unserer kleinen, in den Sesselritzen wohnenden Angst, mein Vater könnte uns einmal nicht wiederfinden.
Manchmal setzte Attila sich neben mich, er rauchte und redete, als wollte er sich selbst etwas von früher erzählen, von den fröhlichen Gasthäusern in Komárom und den rostigen Kähnen am Donaurand.
In meiner Kindheit lebte ich an einem großen Fluss, und nachts hörte man die Schiffe, sagte ich. Das konnte ich auf Ungarisch sagen, ja besonders den Ausdruck ›In meiner Kindheit‹, ein langes weiches Wort, das mir auf Ungarisch immer wie ein Ort erschien und nicht wie eine Zeit, benutzte ich mit Vorliebe. Was ich nicht sagen konnte, war, dass sich das Tuckern der Kähne in der Nacht anhörte wie in einem großen leeren Raum, als seien Nacht und Dunkelheit eine Kuppel, die sich über die Welt stülpte und sie abschloss, alles hallte darin wider, auch die Eisenbahnen, die längs des Flusses fuhren, und die in dieser Kuppel unweigerlich irgendwo an eine Wand prallen würden.
Wir wohnten zwischen den Hügeln, und ich hörte die Kähne nie, antwortete Attila.
Ich lernte das Wort für Leinwand. Die Leinwand im Kino hing schief vor dem Hohlraum der Bühne, sie war rissig und morsch, von unzähligen kleinen Punkten durchsetzt, wie durchschossen von den Lichtstrahlen aus dem Projektor. Die Bühne dahinter ein staubbedecktes Feld von Gegenständen, die ihrem Nutzen, ihrer Zugehörigkeit zu einer Funktion vollends entglitten und entfremdet waren. Sie schliefen dort in diesem dunklen Hohlraum, im Schutz der durchstrahlten Leinwand, wo es keinen Namen mehr für sie gab, sie allenfalls neuen Namen und Bezeichnungen entgegendämmern konnten, die dem, der sie dort wiederfand, aufhob, berührte, ins Licht hielt, einfallen mochten.
Die frühe Sommerhitze kroch allmählich in jeden Spalt und Winkel. Im Garten hinter dem Kino stiegen die Eulen mit schweren Flügeln auf, wenn sich ein Mensch dem Schatten ihrer Bäume näherte. Mittags verdichtete sich die Luft zu einem zähen Weiß. Ein Wind kam auf, trocken und heiß, an Feldrändern wanderten kleine Staubtrichter einzeln oder in Paaren, bis sie sich in Luft auflösten, graue Gespenster des Mittags. Ein schwacher Schatten der Mittagshexe, unter deren Zauber früher, vor der Zeit der endlosen Mais-, Melonen- und Sonnenblumenfelder, märchenhafte Orte in der Luft schwebten, zwischen Himmel und Erde, Verheißungen, Traumstachel.
Attila schaufelte im Kinogarten das gemähte Gras zu einem großen Haufen, die Erde war braun, rissig, mit scharfen Stoppeln bedeckt. Krumm und krüpplig standen die lange nicht mehr gestutzten Pflaumenbäume in der kahlgemähten Ödnis. Der Garten hatte nun etwas von blässlicher Geschorenheit, scheu wie lang dem Licht entwöhnte Haut. Die rissige Mauer, die ihn umgab, lag bloß. Verwunschenverwünscht, ein Ort, an dem die weitergereichten Worte von vergangener Süße an ihrer eigenen
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