Banatsko (German Edition)
Zufalls, bis der Regen nachließ und sich die Wartenden, nach und nach und meistens zu früh, hinauswagten. Draußen klatschte ihnen der unterschätzte Regen sofort die Kleider an den Leib, was sie am Laufen hinderte.
Am nächsten Tag fuhr ich zurück nach Battonya. Die Reise war lang, die Sommerhitze kam und ging, die Nacht war kühl. In Budapest stieg ich aus und wartete auf den Zug nach Bukarest. Es war Spätnachmittag. Heimreisende nach einem Stadttag stützten die Ellbogen auf die Stehtische der Imbisse und aßen Pizzastücke. An den hohen Tischen der Schnellrestaurants standen Männer, die ihre Computertaschen unter die Arme klemmten, junge hungrige Mädchen mit bloßen weichen Bäuchen unter den Sommerhemden, stille Arbeiter und grölende Sportler, eine alte Dame mit blauer Dauerwelle, alle verschlangen ihre rottropfenden Stücke, unzählige offene Münder im Bahnhofsgewirr. Ich dachte an die spitzen Paprikatüten in den Körben wandernder Verkäufer, als ich zum allerersten Mal hier ankam, an die kleinen runzligen Frauen mit halbwelken Blumensträußen und Knoblauchkränzen am frühen Morgen, als Spritzwasser von den spätsommerheißen Bahnsteigen dampfte und melancholische Ordnungshüter an den Ecken lungerten, die wenigen Bänke belegt waren von obdachlosen Reisesehnsüchtigen mit schmalem Gepäck unter dem schlummernden Kopf, als die Luft stank und alles Fremde war. Die Fremde war vergangen. Es gibt keinen Weg zurück aus dem Kennen ins Nichtkennen. Sehen, Erkennen, Erinnern ist das Verschlingen von Welt ins eigene Leben hinein. Jede erste Fremde ist unwiederholbar, auch wenn es keinen Heimweg gibt. Ich hörte die Menschen reden, ihre Sprache war mir vertrauter als die Sprachen, die ich sprach und verstand, ich kam zurück.
Der Zug fuhr in den Abend. Ich sah einen Streifen entgegengleitendes Land aus dem Fenster und einen Streifen entgleitendes Land im Spiegel über dem Sitz gegenüber. Der Zug überquerte die Tisza, die Sonne ging im Spiegel unter, und vor mir lag ein tiefdunkles Blau, in dem sich kein Umriss mehr ausmachen ließ, die Lichter waren spärlich, im Spiegel verging noch langsam der Tag, ein gelber, grüner, blasstürkiser Streifen in großer Ferne, während der Zug schon mitten in der Nacht war.
BATTONYA
In den Gärten standen die Tulpen, vor allem die grellroten, die irgendwann einmal Mode geworden waren, Feuertulpen, sagte meine Nachbarin stolz, wir haben auch Feuertulpen.
Die Köpfe der Feuertulpen waren zu groß für die Stängel, die verdrossen unter ihrer Last schwankten. Die Blüten waren schwarz geädert und trugen einen schwarzen Kranz um den Ansatz der Blüte. Die ganze Blume welkte nicht wie in ihre Blüte verschwendet, sondern als verrunzelte sie aus Unerfülltheit. Als sei sie ihrer eigenen Fleischigkeit nicht gewachsen, als wären die schwarzen Adern bereits Anzeichen dieser Unglückseligkeit.
Der bucklige Nachbar pflegte seine Kartoffeln und machte sich in seinem Hof zu schaffen, in dem alles grau war, wie ich einmal durch das offenstehende Tor sah: graue Bretter, graue Betonbrocken, graue Erde und graue Hühner. Ein grauer Hund kläffte an einer grauen Leine. Inmitten der Tulpengärten sah der Hof aus wie eine Graukammer, wo alle andere Farbe verschluckt wurde. Hier ersäufte der bucklige Nachbar auch die blinden Eintagskätzchen, die man ihm brachte, er verstand sich darauf, wie es hieß, und erklärte gern, in so jungem Alter glitten die Kätzchen ohne die geringste Widerborstigkeit in den Tod, fast so, als ginge es zurück in den Mutterbauch.
Die Bartnelken blühten, die in meiner Kindheitssprache Tausendschönchen hießen, Schrebergartenblumen, die auch in verlassenen Laubenkolonien noch büschelweise zwischen dem Unkraut standen. Auf Ungarisch wurden sie Türkennelke genannt, in Margits Garten standen sie in langen Reihen. Ich habe so viele Gräber, sagte Margit wie zur Entschuldigung für ihre Blumen. Säuberlich und gerade aufgereiht wuchsen sie, von den hohen Narzissen, die nichts mit den windwirren kleinen gelben und weißen Sternen in den Marschen des früheren Lands zu tun hatten, bis hin zu den verwaschenen Astern und Chrysanthemen im Herbst waren sie alle nur für die Toten, für Kinder, Väter, Tanten unter ihrem Grabgestein.
Ich fuhr in diesem Frühsommer über die Dörfer zwischen Mures, Maros, Tisa und Tisza und wusste nicht, was ich suchte. Abends kehrte ich nach Battonya zurück, manchmal saß Attila noch an dem kleinen Fluss, oder auf der Veranda,
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