Band 1 - Blutspur
beides kam offenbar aus einem Lautsprecher. Ich erkannte sofort, dass es der Flur war, in dem ich gestern schon gewesen war. Die Geräusche waren wahrscheinlich auch schon da gewesen, aber so leise, dass ich sie erst jetzt als Nagetier hören konnte. Jenks und ich hatten also Trents Hinterzimmer gefunden, wo er seine
»besonderen« Gäste unterhielt.
»Wo entlang?«, flüsterte Jenks, der inzwischen wieder neben mir schwebte. Entweder waren seine Flügel wieder in Ordnung, oder er wol te nicht das Risiko eingehen, auf dem Rücken eines Nerzes gesehen zu werden. Selbstsicher ging ich den Korridor entlang. An jeder Kreuzung wählte ich den Weg, der weniger ansprechend und benutzt aussah. Jenks bildete die Vorhut und hängte jede Kamera in eine Fünfzehnminutenschleife, damit uns niemand sah.
Glücklicherweise arbeitete Trent nach der menschlichen Uhr -
zumindest offiziel -, und das Gebäude war menschenleer.
Zumindest dachte ich das.
»Scheiße«, flüsterte Jenks in demselben Moment, als ich erstarrte. Am anderen Ende des Korridors waren Stimmen zu hören. »Lauf!«, flüsterte Jenks hastig. »Nein, nach rechts.
Zum Stuhl und der Topfpflanze.«
Ich machte einen Satz in die angegebene Richtung. Der Geruch von Zitrusgewächsen und Terrakotta stieg mir in die Nase, und ich quetschte mich gerade hinter den Topf, als sich gedämpfte Schritte näherten. Jenks huschte zwischen die Äste der Pflanze.
»So viel?« Trents Stimme dröhnte in meinen sensiblen Ohren, als er mit einer weiteren Person um die Ecke kam.
»Finde heraus, wodurch Hodgkin so einen Anstieg in der Produktion erreicht hat. Wenn man es eventuel auch an anderer Stel e anwenden kann, wil ich einen ausführlichen Bericht.«
Ich hielt den Atem an, als Trent und Jonathan an uns vorbeigingen.
»Ja, Sa'han.« Jonathan kritzelte etwas auf den Touch-screen seine Organizers. »Ich habe inzwischen die potenziel en Bewerber für die Sekretärinnenstel e überprüft.
Ihr Terminkalender lässt sich morgen Vormittag relativ einfach freischaufeln. Wie viele möchten Sie sehen?«
»Oh, beschränke es auf die drei, die du für die Geeignetsten hältst, und eine, von der du nicht überzeugt bist. Ist jemand dabei, den ich kenne?«
»Nein. Ich musste dieses Mal außerhalb des Staates suchen.«
»War heute nicht dein freier Tag, Jon?«
Es entstand eine kurze Pause. »Da Ihnen eine Sekretärin fehlt, habe ich beschlossen, trotzdem zu arbeiten.«
»Ah«, sagte Trent mit einem entspannten Lachen, während sie um die nächste Ecke bogen, »deswegen bist du also so erpicht darauf, die Vorstel ungsgespräche voranzutreiben.«
Jonathans leiser Widerspruch war schon kaum noch zu hören. Sie verschwanden außer Sichtweite.
»Jenks?«, fiepte ich. Keine Antwort. »Jenks!«, quiekte ich noch einmal und fragte mich, ob er abgehauen war, um irgendwelchen Blödsinn zu machen - zum Beispiel den beiden zu folgen.
»Ich bin noch da«, grummelte er zu meiner Erleichterung.
Der Baum bebte, als er von seinem Ast herunterflatterte und sich auf dem Rand niederließ, um mit den Beinen zu baumeln. »Ich habe eine gute Duftprobe bekommen«, sagte er. Erwartungsvol hockte ich mich auf mein Hinterteil.
»Ich habe keine Ahnung, was er ist.« Jenks' Flügel trübten sich, als seine Blutzirkulation nachließ und seine Stimmung sank. »Er riecht nach Gras, aber nicht wie eine Hexe. Es gibt keine Spur von Eisen, also ist er kein Vamp.« Er kniff verwirrt die Augen zusammen. »Ich konnte riechen, wie sich der Biorhythmus seines Körpers verlangsamte, also schläft er nachts. Das schließt Tiermenschen und andere nachtaktive Inderlander aus. Beim Wandel noch mal, Rachel. Ich kann seinen Geruch nicht einordnen. Und weißt du, was noch seltsamer ist? Der Typ, der bei ihm war, riecht genau wie Trent. Da muss ein Zauber im Spiel sein.«
Meine Schnurrhaare zuckten. Seltsam war nicht das richtige Wort. »Quiek«, sagte ich, was so viel heißen sol te wie »Tut mir leid«.
»Yeah, du hast recht.« Er setzte seine Libel enflügel langsam in Bewegung und schwebte zurück auf den Flur.
»Wir sol ten das hier beenden und dann schleunigst abhauen.«
Abhauen, dachte ich düster, als ich den Schutz des Zitrus-baums verließ. Ich hätte wetten können, dass wir nicht auf demselben Weg verschwinden konnten, den wir gekommen waren. Aber darüber würde ich mir Gedanken machen, nachdem ich in Trents Büro eingebrochen war. Wir hatten bereits das Unmögliche geschafft. Hier rauszukommen war bestimmt ein
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