Band 2 - Blutspiel
Immerhin war sie nicht gegangen. Sie arbeitete an ihrem Computer, ich befand mich in einem Raum mit ihr. Viel eicht fühlte sie sich jetzt sicher genug, um wenigstens zuzuhören.
»Ivy. .«
»Nein«, sagte sie sofort und warf mir einen kurzen verängstigten Blick zu.
»Ich wil mich doch nur entschuldigen«, sagte ich hastig.
»Geh nicht. Ich werde auch nichts mehr sagen.« Wie konnte man nur so stark und mächtig sein und gleichzeitig so viel Angst vor sich selbst haben? Dieser ständige Konflikt zwischen Stärke und Verletzlichkeit war mir unbegreiflich.
Sie wich meinem Blick aus, aber nach und nach löste sich ihre Anspannung wieder. »Aber es war doch nicht deine Schuld«, flüsterte sie schließlich.
Und warum fühle ich mich dann so beschissen? »Es tut mir so leid, Ivy.« Für einen kurzen Moment begegneten sich unsere Blicke. Ihre Augen leuchteten in warmem Braun, ohne eine Spur von Schwarz.
»Es ist einfach. .«
»Stopp«, unterbrach sie mich. Sie starrte auf ihre Hand, die krampfhaft die Tischkante umklammerte. Die Nägel glänzten noch von dem Lack, den sie für unseren Besuch bei Piscary aufgetragen hatte. Mühsam lockerte sie den Griff.
»Ich. . ich werde dich nie wieder bitten, mein Nachkomme zu werden, wenn du jetzt einfach nichts mehr sagst«, erklärte sie stockend. Die Verwundbarkeit, die aus diesem Satz sprach, war beunruhigend.
Es kam mir so vor, als wüsste sie, was ich sagen wol te, und konnte es schlicht nicht ertragen, es zu hören. Ich würde nie ihr Nachkomme werden - ich konnte es einfach nicht.
Dieses Band würde uns zu eng aneinanderketten und mir meine Unabhängigkeit nehmen. Und auch wenn ich wusste, dass das Geben und Nehmen von Blut bei den Vampiren nicht zwangsläufig mit Sex verbunden war, sah ich diesen Unterschied nicht. Ich konnte aber auch nicht einfach fragen:
»Können wir nicht Freundinnen bleiben?« Es würde abgedroschen und bil ig klingen, auch wenn es genau das war, was ich wol te. Sie würde es nur als die Abfuhr verstehen, die es ja meistens auch war. Und ich mochte sie viel zu sehr, um sie so zu verletzen. Außerdem wusste ich, dass sie dieses Versprechen nicht aus Verbitterung gab, sondern weil sie den Schmerz einer weiteren Zurückweisung vermeiden wol te.
Ich würde Vampire wohl nie verstehen, aber so lagen die Dinge nun mal zwischen Ivy und mir.
Sie sah mich ängstlich an, gewann aber an Sicherheit, als sie in meinem Schweigen die Bereitschaft erkannte, die Sache endgültig zu begraben. Sie entspannte sich und zumindest ein Teil ihres gewohnten Selbstvertrauens kehrte zurück. Ich hingegen fühlte mich mies, als mir bewusst wurde, wie gnadenlos ich sie eigentlich ausnutzte. Sie beschützte mich vor den vielen Vampiren, denen ich sonst aufgrund der Dämonennarbe hilflos ausgesetzt gewesen wäre, was nichts anderes hieß, als dass sie mir meinen freien Wil en erhielt. Und sie erwartete nicht einmal, dass ich mich auf dem bei Vampiren üblichen Weg dafür bedankte. Das al ein war schon Grund genug zum Selbstekel. Und nun wol te sie etwas von mir, das ich ihr nicht geben konnte, und gab sich trotzdem damit zufrieden, meine Freundin zu sein, in der Hoffnung, dass ich ihr eines Tages viel eicht doch mehr geben könnte.
Ich holte tief Luft. Ivy tat so, als würde sie meine Blicke nicht bemerken, während ich langsam al es begriff. Ich konnte nicht gehen. Es ging nicht nur darum, meine einzige echte Freundin seit acht Jahren nicht zu verlieren oder sie in ihrem zermürbenden inneren Kampf zu unterstützen. Ich hatte Angst davor, in einem Moment der Schwäche vom ersten dahergelaufenen Vampir in ein wil enloses Spielzeug verwandelt zu werden. Ich saß in einem Käfig aus Bequemlichkeit, und der Tiger, der mit mir eingesperrt war, schnurrte und schlabberte seine Milch, bis er einen Weg fand, meine Meinung zu ändern. Großartig. Heute Nacht würde ich sicher gut schlafen.
Ivy schaute mir in die Augen, und ihr stockte kurz der Atem, als sie erkannte, dass ich endlich verstanden hatte.
»Wo ist Jenks?«, fragte sie dann und wandte sich wieder dem Monitor zu, als wäre nichts gewesen.
Ich atmete tief durch und versuchte, mich mit meiner neuen Lage anzufreunden. Ich konnte abhauen und von da an jeden lüsternen Vampir bekämpfen, der mir über den Weg lief, oder ich konnte bleiben, weiter unter Ivys Schutz stehen und darauf vertrauen, dass es nie so weit kam, dass ich sie bekämpfen musste. Was hatte mein Dad immer gesagt? Eine bekannte Gefahr ist immer noch
Weitere Kostenlose Bücher