Band 2 - Blutspiel
trotzdem hörte ich einen Hauch von Angst in der Frage. Verdammt, sie würde wieder abhauen. Erst dann fiel bei mir der Groschen.
Die Musik war gar nicht vom Band gekommen. Seit wann hatten wir ein Klavier?
Ich zog meine Jacke aus, hängte sie auf und ging nach vorne in den sonnendurchfluteten Altarraum. Wir hatten tatsächlich ein Klavier, beziehungsweise einen wunderschönen schwarzen Konzertflügel, der durch die grünen und bernsteinfarbenen Lichtstrahlen passend ausgeleuchtet wurde. Der Deckel war hochgeklappt, sodass man die glänzenden Saiten und filzüberzogenen Hämmerchen sehen konnte.
»Wann hast du dir denn einen Flügel zugelegt?«, fragte ich vorsichtig. Ivy war vol kommen verkrampft, bereit, jederzeit die Flucht zu ergreifen. Verdammt, wenn sie mir doch nur einmal in Ruhe zuhören würde!
Ich entspannte mich etwas, als sie nach einem Ledertuch griff und begann, das glänzende Holz zu polieren. Sie trug Jeans und ein schlichtes Top, sodass ich mir in meinem Kostüm ziemlich overdressed vorkam.
»Heute«, antwortete sie und fuhr weiter mit dem Lappen über das makel ose Holz. Ein Problem zu ignorieren ist ein vol kommen legitimer Weg, damit umzugehen, solange sich beide Parteien darüber einig sind, es nie wieder anzusprechen.
»Du brauchst nicht aufzuhören, nur weil ich jetzt da bin«, sagte ich verzweifelt bemüht, etwas zu sagen, bevor sie einen Anlass fand, um zu verschwinden. Sie ging um das Instrument herum, um die Rückseite zu polieren, und ich schlug eine Taste an. »Eingestrichenes C«, stel te sie sofort fest, und plötzlich entspannten sich ihre bleichen Züge, und sie wirkte vol kommen gelöst.
Ich wählte eine andere Taste, hielt sie gedrückt und lauschte dem Echo, das von den Dachbalken zurückgeworfen wurde. In dem hohen, kahlen Raum konnte sich der Klang vol entfalten, besonders jetzt, wo die Turnmatten verschwunden waren.
»Fis«, flüsterte sie, und ich schlug zwei Töne gleichzeitig an. »C und Dis«, antwortete sie immer noch leise, dann öffnete sie die Augen und sah mich an. »Das ist ein schrecklicher Akkord.«
Ich lächelte erleichtert, da wir uns wieder in die Augen sehen konnten. »Ich wusste gar nicht, dass du spielst.«
»Meine Mutter hat mich dazu verdonnert.«
Ich nickte gedankenverloren und kramte das Geld aus der Tasche. Als ich ihr die Scheine gab, wurde mir unwil kürlich wieder bewusst, wie unterschiedlich wir lebten: Ivy kaufte mal eben einen Konzertflügel, ich lagerte meine Klamotten in einem Sperrholzwrack.
Ivy senkte den Blick, um das Geld zu zählen. »Es fehlen noch zweihundert.«
Ich ging wortlos in die Küche, warf meine Tasche auf ihren antiken Küchentisch und ging zum Kühlschrank, um mir ein Glas Saft zu holen. Das ewige Schuldgefühl nagte an mir.
»Edden hat mein Honorar gekürzt«, rief ich in den Altarraum hinüber. Viel eicht blieb sie ja, wenn ich das Gespräch beim Thema Finanzen halten konnte. »Aber ich kriege den Rest schon irgendwie zusammen. Ich werde noch mal mit dem Basebal team reden.«
»Rachel. .« Ihre Stimme klang ganz nah. Erschrocken drehte ich mich um und sah sie im Flur stehen. Ich hatte sie nicht kommen hören. Sie registrierte meine Bestürzung, und ich sah, wie sehr es sie verletzte. Sie hatte Eddens mickrige Aufwandsentschädigung in der Hand, und plötzlich war es mir al es zu viel. Sie sol ten mich einfach al e in Ruhe lassen.
»Vergiss es einfach«, meinte sie, und zog mich damit noch weiter runter. »Ich kann dir ja diesen Monat aushelfen.«
Mal wieder, ergänzte ich in Gedanken. Verflucht noch mal, ich sol te doch wohl in der Lage sein, meine eigenen, beschissenen Rechnungen zu bezahlen.
Deprimiert nahm ich die Kappe ab und hängte sie an einen Stuhl. Als Nächstes entledigte ich mich meiner Schuhe, sie flogen in hohem Bogen durch die Tür und landeten polternd irgendwo im Wohnzimmer. Dann ließ ich mich in den Stuhl fal en und umklammerte mein Saftglas wie ein Betrunkener das letzte Bier des Abends. Auf dem Tisch entdeckte ich eine geöffnete Kekstüte und griff danach.
Schokoladencreme machte al es besser, solange man nur genug davon aß.
Ivy streckte sich, um das Geld in der Dose auf dem Kühlschrank zu verstauen. Es war zwar nicht gerade der sicherste Platz für eine Haushaltskasse, aber wer würde schon einen Tamwood-Vampir bestehlen? Wortlos ließ sie sich am anderen Ende des Tisches nieder. Als sie die Maus bewegte, sprang summend die Lüftung des Computers an.
Meine Laune besserte sich etwas.
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