Band 6 - Blutnacht
meine Augen sich an das dämmrige Licht gewöhnen konnten.
»Es tut mir wirklich leid, Rachel«, sagte Marshai peinlich berührt. »Sie haben mich gebeten, früher zu kommen, als jemand abgesagt hat, und ich konnte nicht Nein sagen.«
»Das ist schon in Ordnung«, antwortete ich und war wieder einmal froh, mein eigener Chef zu sein, selbst wenn das hieß, dass mein Chef manchmal ganz schön blöd war. Ich trat aus dem Weg und nahm meine Sonnenbril e ab.
»Ich musste mich sowieso um einen potenziel en Auftrag kümmern, also ist das viel eicht sogar besser. Wol en wir uns einfach einen Kaffee am Fountain Square holen?« Drei Uhr ist gut. Nicht Frühstück, nicht Mittagessen. Eine nette, sichere Uhrzeit, an die sich keinerlei Erwartungen knüpfen. »Ich muss nur bei Sonnenuntergang wieder auf geweihtem Boden sein«, fügte ich hinzu, als ich mich daran erinnerte. »Hinter mir ist ein Dämon her, zumindest, bis ich herausgefunden habe, wer ihn mir auf den Hals hetzt, und ihm oder ihr ein wenig Vernunft einprügle.«
Sobald ich es ausgesprochen hatte, musste ich mich fragen, ob ich eigentlich aktiv versuchte, ihn zu verschrecken.
Aber Marshai lachte, nur um dann sehr ernst zu werden, als ihm aufging, dass ich es genau so meinte.
»Ahm, wie laufen die Vorstel ungsgespräche?«, fragte ich, um das unangenehme Schweigen zu brechen.
»Frag mich in ein paar Stunden.« Er stöhnte leise. »Ich muss noch zwei Leute treffen. So habe ich nicht mehr geschleimt, seit ich mal aus Versehen einen Kunden vom Pier geschubst habe.«
Ich lachte leise und hob den Blick zu den Schildern, welche die Richtung zu den Liften anzeigten. Mein Lächeln starb in einem Anfal von Schuldgefühlen, und dann wurde ich wütend auf mich selbst. Ich durfte lachen, verdammt nochmal. Ein Lachen bedeutete nicht, dass mir Kisten irgendwie weniger bedeuten würde. Er hatte es geliebt, mich zum Lachen zu bringen.
»Viel eicht sol ten wir es lieber auf Morgen verschieben«, meinte Marshai zögernd, als wüsste er genau, warum ich auf einmal schwieg.
Ich schob meine Sonnenbril e in meine Tasche und hielt auf die Express-Lifte zu. Ich sol te einen Mr. Doemoe auf der Besucherterrasse treffen. Manche Leute liebten es einfach, sich mysteriös zu geben.
»Auf dem Fountain Square gibt es einen Kaffeestand«, schlug ich mit bitterer Entschlossenheit vor. Ich kann das, verdammt nochmal. Der Stand war direkt neben einem Hot-Dog-Verkäufer. Kisten hatte Hot Dogs gemocht. Eine Erinnerung stieg in mir auf - ein Bild von Kisten in seinem schicken Nadelstreifenanzug mit ein wenig Senf im Mundwinkel, wie er entspannt neben mir an einem der großen Pflanztöpfe auf dem Platz lehnte, während der Wind ihm das Haar zerzauste und er in die Sonne blinzelte. Ich fühlte, wie mein Magen sich hob. Gott, ich kann das nicht.
Marshals Stimme störte mich auf. »Klingt tol . Wer zuerst da ist, kauft den Kaffee. Ich nehm einen Grande mit drei Stücken Zucker und einem Hauch von Sahne.«
»Schwarz ohne al es«, antwortete ich wie betäubt. Mich wegen meines Kummers in meiner Kirche zu verstecken war noch schlimmer, als mich wegen eines Dämons dort zu verstecken, und so jemand wol te ich auch nicht sein.
»Also am Fountain Square«, meinte Marshai. »Wir sehen uns dann!«
»Geht klar«, erwiderte ich, als ich am Tisch des Sicherheitsdienstes vorbeiging. »Und viel Glück!«, fügte ich hinzu, als mir wieder einfiel, was heute bei ihm los war.
»Danke, Rachel. Bye!«
Ich wartete, bis ich hören konnte, dass er aufgelegt hatte, dann flüsterte ich noch »Bye«, bevor ich mein Handy zuklappte und es wegsteckte. Das Ganze durchzuziehen war härter, als ich erwartet hatte.
Melancholie folgte mir wie ein Schatten, als ich den kurzen Flur hinunterging und meine Gedanken zurück zum kommenden Treffen mit einem Klienten zwang. Auf dem Dach, dachte ich und rol te die Augen.
Ehrlich, Mr. Doemoe hatte, als ich heute Morgen mit ihm telefoniert hatte, geklungen wie eine Maus, und am Telefon war es mir auch nicht möglich gewesen, zu erkennen, ob er nervös war, weil er als Mensch eine Hexe anheuerte, oder weil jemand hinter ihm her war. Was auch immer. Der Auftrag konnte nicht so schlimm werden. Ich hatte Jenks gesagt, dass er zu Hause bleiben sol te, weil es ja nur ein erstes Gespräch war. Außerdem hatte ich auch noch etwas zu erledigen, und Jenks mit mir rumzuschleppen, während ich auf die Post und zum FIB-Gebäude ging, war für ihn reine Zeitverschwendung.
Mein Ausflug zum FIB war
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