Bangkok Tattoo
beweisen und die Dame ihm voller Bewunderung applaudieren kann.
Mustafa zieht es vor, das Treiben zu ignorieren, und wir setzen uns an einen freien Tisch in einer Ecke. Er schuldet mir noch einige Erklärungen, also schweige ich erst einmal.
»Sie fragen sich, warum unser Interesse für Mitch Turner so groß war, wenn es doch Hunderte von seiner Sorte in Thailand gibt?«
»Ja.«
»Wenn Sie eine ausführliche Erklärung wollen, müssen Sie meinen Vater fragen. Seiner Ansicht nach war der farang ein faszinierendes Produkt des Westens. Er meinte, genau wie die Geheimdienste Terroristenbomben zerlegen, um zu sehen, wie sie gefertigt sind, sollten wir uns mit der Seele dieses komischen Kauzes, dieser menschlichen Bombe, befassen, um herauszufinden, wie er tickt. Schließlich hat er sich nicht selbst erfunden, sondern war eine Ausgeburt seiner Kultur.«
»Sie sprechen von seiner Naivität, seiner Verwirrung, davon, daß er keine innere Mitte besaß?«
»Ja, aber am interessantesten fand mein Vater seine spirituelle Agonie. Sie müssen wissen, daß mein Vater trotz seines profunden Wissens kaum jemals farangs kennenlernt, am allerwenigsten amerikanische Agenten. Mein Vater ist ein großer Imam und damit Seelenkenner, doch bevor er Mitch Turner traf, bezweifelte er wohl, daß farangs überhaupt eine Seele besitzen. Als er dann sah, welche Qualen Turner litt, hatte er das Gefühl, begriffen zu haben, warum der Westen ist, wie er ist.« Ein Lächeln huscht über sein Gesicht. »Es war, als hätte er einen Code geknackt und könnte nun die westliche Psyche deuten.« Ohne den Blick von mir zu wenden, fährt er fort: »Er hätte nicht gedacht, daß ein so gepeinigter Mann überhaupt in der Lage sei zu leben und zu funktionieren.« Er redet sich warm, teilt zum erstenmal seine Leidenschaft mit mir: »Mein Vater sagt auch, ohne Krieg versinke Amerika im Chaos und müsse sich in einen Polizeistaat verwandeln, um weiterzubestehen, weil seinem Volk die innere Struktur fehle. Ein Krieg wird die Amerikaner nie bezwingen können. Nur den Frieden finden sie unerträglich.«
»Und zu den Schlüssen ist er durch diesen einen Amerikaner gelangt?«
»Warum nicht? Wahres Wissen kommt von Allah. Es bedarf keiner wissenschaftlichen Methodik, nur eines Hinweises, dem der Geist folgen kann.«
Mir fällt auf, daß er das, was rund um ihn herum vorgeht, beobachtet, ohne zu begreifen, wie eine Show in einer ihm fremden Sprache. Ich jedoch kann gar nicht anders, als die Vorgänge im Foyer mitzubekommen: die jungen Männer, die sich den Mädchen nähern, und das breite ironische Grinsen der Frauen; die komplexe Mischung aus Schüchternheit, Mut, Arroganz, Begierde und Vorfreude bei den Männern und den forschenden Blick der Frauen, die während der Verhandlungen zu erraten versuchen, mit was für einem Liebhaber sie es zu tun haben werden; die beiderseitige Erleichterung, sobald sie sich handelseinig sind; die abrupte Veränderung der Körpersprache, wenn sie die Arme umeinander legen und zum Aufzug oder hinaus auf die Straße gehen. Ich weiß, daß Mustafa, falls er überhaupt etwas Interessantes wahrnimmt, nur Sünde sieht, die seiner Überzeugung nach zweifelsohne früher oder später von Allah ausgelöscht werden wird – genau wie eine ganze Reihe anderer Verfehlungen, die ich als zutiefst menschlich erachte.
Als ich ihm sage, daß ich ins Bett gehen möchte, steht er sofort auf, wie jemand, den man von einer ungeliebten Tätigkeit erlöst.
14
Wieder in meinem Hotelzimmer, machte ich den Fehler, ein paar Flaschen Singha-Bier aus der Minibar zu trinken, die mich einige Stunden lang außer Gefecht setzten. Ich wache durstig und mit leichten Kopfschmerzen auf. (Trink Kloster oder Heineken, farang, wenn du in unserem Land Urlaub machst – sie werden einfach sauberer gebraut.) Und am schlimmsten: Ich bin hellwach, als ich den Fernseher mit der Fernbedienung einschalte und an der Zeitanzeige sehe, daß es Viertel nach vier morgens ist. Auf dem Bett liegend, fällt mir mein Traum wieder ein, in dem Chanya mich besuchte. Das Licht darin, ihr Gesichtsausdruck, die ganze Atmosphäre des Traums sind eine Botschaft von ihr, auch wenn ich nicht verstehe, was sie bedeutet. Wir haben uns hin und wieder über den Buddhismus unterhalten, weil sie selbst leidenschaftlich meditiert und unsere Vorgeschichten so ähnlich sind, daß wir oft mutmaßten, wir würden uns aus mindestens einem früheren Leben kennen. Obwohl beide zu schüchtern, es
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