Bangkok Tattoo
erfolgen zahlreiche Kontrollen. Mehr als unwichtigen Klatsch haben wir nie mitbekommen.« Als er meine fragend gehobenen Augenbrauen sieht, fügt er hinzu: »So nannten wir das, denn mehr war’s letztlich nicht, worüber die sich online unterhalten haben.«
Eigentlich wollte ich Turners Wohnung erst am nächsten Morgen inspizieren, doch abgesehen von einem Besuch bei einer der Prostituierten kann man hier einfach nichts unternehmen, und außerdem beginnt die Sache mich zu interessieren. Als mir mein geräumiges, aber schmuddeliges Hotelzimmer einfällt, beschließe ich, Mustafa weiter Gesellschaft zu leisten.
Es stellt sich heraus, daß Mitch Turners Apartment sich nicht weit von Café und Polizeirevier in einem fünfstöckigen Wohnhaus befindet. Als wir das Gebäude betreten, wendet sich der Concierge, der in einem kleinen Raum mit Einzelbett und Fernseher gleich neben dem Eingang lebt und arbeitet, mit kühlem Blick von Mustafa ab.
»Ein Buddhist. Einer von euch«, erklärt Mustafa.
»Sie haben ihn eingeschüchtert, um an den Schlüssel zu kommen?«
»Ich habe überhaupt nichts getan.« Kurzes Schweigen.
»Das war nicht nötig.«
Ich bin völlig außer Atem und schwitze in der Hitze der Nacht, als wir das oberste Stockwerk erreichen. Mustafa scheint das Treppensteigen nichts auszumachen. Beim Betreten der Wohnung fällt mir sofort die Aussicht aufs Polizeirevier auf, in dessen Umgebung sich junge Männer und Frauen drängen und wo aus tausend billigen Stereoanlagen eine Mischung aus Thai- und malaysischem Pop dröhnt.
Ich sehe Mustafa an, der in Richtung Schlafzimmer nickt. Dort fällt mein Blick auf einen kleinen Stapel Bücher, dann auf Chanyas silbergerahmtes Foto an einem Ehrenplatz neben dem schmalen Bett.
Als es aufgenommen wurde, hielt sie sich offenbar in den Staaten auf; sie trägt einen Stepparka und sieht aus, als wäre ihr ziemlich kalt, obwohl sie mit ihrem strahlenden Lächeln glücklich wirkt. Ihre Figur ist unter dem Parka nicht zu erkennen, doch man weiß ganz genau, daß da eine außergewöhnlich attraktive Frau in die Kamera schaut. Dieses Bild hat etwas ganz Besonderes, denn es wurde von einem verliebten Mann gemacht.
Was für eine gewaltige Wahrnehmungsleistung gelingt mir da, fast wie aus einem Handbuch für buddhistische Meditation. Ich erinnere mich an jenen Moment in der Bar, als Chanya ein mürrisches, einigermaßen dumpfes Muskelpaket verführte, und ersetze es durch einen intelligenten, gebildeten, einfühlsamen Mann, der sie bereits kannte und verehrte. Ich bin so verdammt einsam, sagte er. Du siehst wunderschön aus heute abend. Warum hat sie ihn umgebracht, ihn verstümmelt, ihn gehäutet? Ich blicke in Mustafas Augen, doch die haben einen glasigen Ausdruck angenommen. In ihnen kann ich keinerlei Neugier für das Liebesleben des farang entdecken. Ich frage mich, was Mustafas Geist in jenen Momenten der Lust treibt, die sogar Fanatiker bisweilen erleben.
»Sie wissen, wer sie ist?« frage ich ihn.
Er zuckt mit den Achseln. Wen interessiert das? Sie ist eine Nutte von außerhalb, somit für ihn etwa genauso wichtig wie der Staub auf den Möbeln und nicht Teil des Krieges, der ihn beschäftigt. Ich gestatte mir den Luxus, einen Moment lang Chanyas Gesicht auf dem Foto zu betrachten: Mustafa soll nicht merken, daß meine Laune sich gerade um etliches verschlechtert hat. Ich klappe den Rahmen auf, hole das Bild heraus und stecke es in die Tasche.
Dann wende ich meine Aufmerksamkeit dem kleinen Bücherstapel auf dem Nachtkästchen zu: Huckleberry Finn, eine schwarze Bibel, die Biographie des FBI-Agenten Robert Hanssen von Norman Mailer und Lawrence Schiller, eine englische Übersetzung von Dantes »Inferno«, eine englischsprachige Ausgabe des Koran, mehrere Bände über die Klassifizierung und Haltung von Spinnen und anderen Terrarienbewohnern. Ich blättere sie durch und betrachte die bunten Fotos von Skorpionen unter ultraviolettem Licht. Schließlich sehe ich Mustafa an.
»Die hat er gesammelt, das habe ich vergessen, Ihnen zu sagen. Anfangs dachten wir, er ist verrückt, als er mit einem kleinen Netz und einem Fläschchen in dunklen Gassen herumkroch.«
Die restlichen Bücher sind mit japanischen Schriftzeichen bedruckt, die wir beide nicht entziffern können. In einem befinden sich Lithographien von schwertkämpfenden Samurai. Beim Durchblättern merke ich, daß es sich um eine Art Handbuch handelt. Ich entdecke Fotos von Samuraischwertern und Diagramme, die offenbar
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