Bangkok Tattoo
Lächeln. (Ich kann mich nicht für einen eindeutigen Akzent entscheiden, weil ich sowohl den britischen als auch den amerikanischen beherrsche. Normalerweise verwende ich den britischen in Gesprächen mit Amerikanern und umgekehrt: Die beiden Kulturen scheinen einander einzuschüchtern. Einem Instinkt folgend, benutze ich jetzt den amerikanischen eines begeisterten Einwanderers, und schon halten sie mich für den Inhaber einer Green Card. Einen besseren Gesprächspartner werden sie in diesem entlegenen Winkel der Welt kaum treffen.)
Sie beginnen zu reden. Jetzt spielen wir alle die Rolle des verständnisvollen Amerikaners im Ausland, ein spezielles Genre, in dem die Überlegenheit der farang- Kultur , die Dummheit der Einheimischen sowie der schlechte Hygienestandard und der grausige Zustand der sanitären Einrichtungen während der gesamten Unterhaltung mitgedacht werden, ohne daß irgend jemand auch nur ein politisch inkorrektes Wort aussprechen müßte. Mit ein paar groben Strichen zeichne ich das Bild des buddhistischen, nicht moslemischen Thailänders, der in den Staaten lebt, aber den Urlaub hier verbringt und seine Heimat verachtet. Mustafa hat sich in einen Schatten verwandelt und bedenkt mich ab und an mit feindseligen Blicken.
Während wir uns über Banalitäten unterhalten, versuche ich, mir ein Bild von den beiden Amerikanern zu machen. Der ältere ist Mitte Fünfzig, schlank und sehnig und militärisch durchtrainiert. Er hat einen kurzen stoppeligen Haarschnitt, und seine schmalen Lippen zeugen von Intelligenz und Rücksichtslosigkeit. Aber da wäre noch etwas anderes, das ich nicht so ganz festmachen kann, etwas nicht wirklich Amerikanisches oder Menschliches. Überrascht es dich, farang, zu erfahren, daß mindestens zehn Prozent der Menschen um uns herum letztlich gar nicht menschlich sind? Das geht jetzt schon ein paar Jahrhunderte lang so: Diese Gestalten sind Besucher aus der jenseitigen Welt mit ihren eigenen Absichten. Nennen wir sie der Einfachheit halber Spezialeinheiten der Anderen Seite. Die letzte Schlacht wird nicht mehr lange auf sich warten lassen.
Der zweite ist jung, wenn auch vielleicht nicht so jung, wie er aussieht. Jemandem aus den Tropen wie mir erscheint er mit seinen blonden Haaren und den schlichten nordischen Gesichtszügen – man kennt den Kinnbogen aus Comics – wie ein Siebzehnjähriger, obwohl er wahrscheinlich Mitte bis Ende Zwanzig ist.
Urplötzlich werde ich für die Amerikaner der Schlüssel zum Glück. Sie bedenken mich mit einem breiten Lächeln und einer obszönen Parodie östlicher Unterwürfigkeit und Achtung, als sie sich vorstellen, mir die Hand geben, das Café betreten und sich an unseren Tisch setzen. Nun, immerhin sind sie clever genug, höflich zu sein.
»Wie gesagt« – auf meinen Lippen liegt immer noch das Begrüßungslächeln von vorhin –, »möchte ich in Thailand meine Wurzeln betrachten. Ich bin hier zur Welt gekommen, aber zum Glück sind meine Mom und mein Dad nach Amerika ausgewandert, als ich noch ein Kind war.«
Der jüngere schenkt mir ob dieses patriotischen Bekenntnisses ein aufrichtiges Lächeln, während der ältere es lediglich mit einem Nicken quittiert.
Sie bestellen Cola. Ihre Körpersprache verrät, daß es ihnen recht wäre, wenn Mustafa verschwände, doch der bleibt schweigend, wie in einen unsichtbaren Tschador gehüllt, sitzen und verunsichert sie.
Ich improvisiere: »Eigentlich würd ich gern noch weiter nach Süden fahren, mit dem Dschungelzug, von dem schwärmen die Reiseführer. Soll ’ne interessante Erfahrung sein.«
»Tatsächlich?« Sie bleiben höflich, wechseln einen Blick.
»Ja. Und was machen Sie hier? Wollen Sie auch nach Süden, oder kommen Sie gerade von dort?«
Wieder ein kurzer Blick. »Nun, wir sind geschäftlich hier.«
»Wirklich? In einer Stadt wie dieser? Ich will ja nicht neugierig sein, aber irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, was für Geschäfte einen Amerikaner hierher verschlagen. In dem Kaff ist doch alles moslemisch. Außer in der Nacht, wo’s bloß um Sex geht, ha ha.«
Verlegenes Grinsen. »Nun, wir sind erst gestern abend in Thailand angekommen, haben den Flieger von Bangkok nach Hat Yai genommen und mit dem Taxi vier Stunden hierher gebraucht. Wir wußten nicht, was uns erwarten würde, weil wir beide das erste Mal da sind. Eigentlich suchen wir nach einem Kollegen.«
»Ach. Ein Amerikaner?«
»Genau. Glauben Sie, wir könnten …?« Das ist der Wink mit dem Zaunpfahl für
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