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Bangkok Tattoo

Bangkok Tattoo

Titel: Bangkok Tattoo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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ihm sehr nahesteht, und zwei Brüder, beide erfolgreiche, extrem wohlhabende Geschäftsmänner in der Telekommunikationsbranche. Am stärksten aber fasziniert sie sein merkwürdiges Repertoire von Akzenten und Stimmen unterschiedlicher Persönlichkeiten, die seinen Körper zu bevölkern scheinen. Als er sie schließlich verläßt, kann sie nur noch mit dem Kopf schütteln: wirklich ein merkwürdiger Fisch.
     
    In ihrem Tagebuch bekennt Chanya sich zu einer gewissen Hinterhältigkeit im Hinblick auf ihre Handhabung des Alkohols bei Mitch Turner. Wieder und wieder wird sie Zeugin seiner erstaunlichen Metamorphose. Turner ist zweiunddreißig, mutiert aber jedesmal, wenn er trinkt, zu einem halb so alten, ziemlich geilen Teenager mit einem Dutzend verschiedener Identitäten, und das gefällt ihr. Nun hat sie immer eine Flasche Rotwein im Haus. Das Ritual verfehlt seine Wirkung nie. Er betritt die Wohnung schuldbewußt, angespannt, schweigsam, mit ernstem Gesicht und erklärt ihr, er wisse nicht, wie lange er die Beziehung zu ihr noch aufrechterhalten könne. Sobald sie ihm ein Glas Wein eingeflößt hat, fällt seine Erwachsenenpersönlichkeit von ihm ab, und er verwandelt sich in ein großes grabschendes Baby. Nach dem Sex lädt er seinen Psychomüll ab. Das Problem ist nur, daß dabei immer mehr einander widersprechende Storys zum Vorschein kommen. In einer Variante seiner Vorgeschichte wird seine geliebte Schwester einfach durch einen liebenswürdigen, aber eigenwilligen Bruder ersetzt, den Mitch wiederholt vor dem Untergang bewahrt. Manchmal ist seine Mutter eine Chicagoer Katholikin. Ziemlich häufig beschreibt er seinen Vater als Prasser, der seine Familie im Stich ließ, als Mitch vier Jahre alt war. (Mitch hat seine heutige Position durch außergewöhnliche Intelligenz und Stipendien erlangt.) In einer weiteren Version war sein Vater jahrelang als Diplomat in Tokio tätig, daher Mitchs fließendes Japanisch.
    Eine andere Frau hätte die Signale möglicherweise wahrgenommen, aber erfahrene Prostituierte sind es gewöhnt, widersprüchliche Geschichten von Männern zu hören. Sie nimmt an, daß er irgendwo Frau und Kinder hat und Chanya nicht genug Intelligenz zutraut, um die Widersprüche zu bemerken. Diese Fehleinschätzung ihrer Person amüsiert sie, und sie beginnt, sich auf seine Besuche, seine dramatische Persönlichkeitsveränderung, den außergewöhnlichen Sex und vor allem das witzige, infantile Plappern in vielen Stimmen, das ihn ihrer bescheidenen Meinung nach zum Genie macht, zu freuen. Sie kennt nun wirklich viele Männer, aber keiner hat sie je so zum Lachen gebracht. Es ist ein erstauntes, ungläubiges Lachen, ja, aber wünschen sich Frauen nicht genau das von verliebten Männern? So viel Spaß hat sie seit ihrer Abreise aus Thailand nicht mehr gehabt.
    Ihre distanzierte buddhistische Seite merkt, daß seine Abhängigkeit von ihr fast schon ein bißchen beängstigend ist. Zweimal hat er ihr gestanden, daß er sich wie wiedergeboren, oder genauer gesagt, neugeboren fühlt. Jetzt, da er weiß, was Thais unter Spaß verstehen, begreift er, wie Scheiße seine Kindheit war (so seine Worte).
    Es fasziniert sie, wie sehr er sie unterschätzt, und bereitet ihr Vergnügen, ihn zu immer absurderen Unstimmigkeiten zu verführen.
    »Mitch, sag mir die Wahrheit: War dein Vater wirklich Senator?«
    »Dad? Klar, einer der besten, ein guter, aufrechter Amerikaner, dem man ohne Bedenken sein Vermögen und seine Frau anvertraut hätte.«
    Chanya sieht hinüber zu seinem Wein. Sie hat zwei bauchige Gläser erworben, in die jeweils der Inhalt einer halben Flasche paßt, und in letzter Zeit unauffällig die Dosis erhöht. In seinem befindet sich etwa ein Viertel des Roten aus dem Napa Valley, und davon hat er vielleicht ein Drittel getrunken.
    Mitch grinst, weil er weiß, daß sie auf seine Metamorphose wartet. Er ist schon ein bißchen angeheitert und beginnt zu kichern. Sie lächelt. Er nimmt einen Schluck. Natürlich denkt er an den Sex – mit Sicherheit wieder eine Marathonsitzung –, während sie mit der üblichen Faszination seiner Persönlichkeitsveränderung harrt. Noch ein paar Schlucke, und er ist soweit. Sein Gesicht wird rot, neuer Glanz tritt in seine Augen.
    »Und wie war er wirklich?«
    »Ein Scheißkerl, ein vierundzwanzigkarätiges Arschloch«, antwortet Homer Simpson.
    Sie hält sich vor Lachen den Bauch über diese vollkommene, dramatische Bewußtseinsveränderung, die ohne jede Vorwarnung eintritt.

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