Bangkok Tattoo
würde sich selbst quälen.«
Der Chinese brummt etwas. Er hat sein ganzes Leben lang mit Nutten zu tun gehabt. Wie sie Männer auf den ersten Blick durchschauen, erstaunt ihn gelegentlich immer noch.
Mitch Turner führt sie in ein Thai-Restaurant an der Columbia Road im Adams-Morgan-Viertel aus. Es beeindruckt sie, daß er sie nicht in ein teures Lokal einlädt, wo der Chili verwässert und das Essen praktisch geschmacklos ist. Chanya würde das von Thais frequentierte Restaurant als billig bis moderat bezeichnen. Das Essen ist, obwohl nicht zu vergleichen mit dem in einer Bangkoker Garküche, gar nicht schlecht. Einer der Kellner stammt aus Japan, und als Turner mit ihm in dessen Sprache spricht, glaubt Chanya, daß er sie hierher gebracht hat, um anzugeben. Erst als sie ihn besser kennenlernt, revidiert sie dieses Urteil. Er wirkt so unheimlich amerikanisch, aber sein Respekt vor der Kultur des jungen Kellners, der sogar soweit geht, daß er sich vor ihm verneigt, nimmt ihn für sie ein. Das würden nur wenige farangs tun. Sie schenkt ihm ein Lächeln, über das er sich freut wie ein Schuljunge. Mit diesem Mann braucht sie nicht zu schlafen, um ihn in der Hand zu haben – er hat sich bereits aus freien Stücken in ihre Macht begeben.
Turner trinkt kaum Alkohol, was sie ein wenig enttäuscht. Thanee hat sie in die Kunst des Weingenusses eingeweiht, und die Atmosphäre ist so angespannt, daß sie sich den Alkohol zur Auflockerung wünschen würde. Leider scheint er Angst davor zu haben. Sie entscheidet sich für ein Glas Rotwein; Turner bleibt beim Mineralwasser.
Noch eine Überraschung: Er beherrscht den Small talk. Nicht so gut wie Thanee natürlich, der sogar über Seifenblasen einen kurzweiligen Vortrag halten könnte – Turners Ausführungen über allerlei Washingtoner Nichtigkeiten wirken ein wenig befangen –, aber er ist längst nicht so schwerfällig wie befürchtet. Im Gegenzug gesteht sie ihm, daß sie die Simpsons liebt. Er lächelt ob ihrer Begeisterung. Nichts über seine berufliche Tätigkeit zu verraten, scheint ihm jedoch in Fleisch und Blut übergegangen zu sein. Das Essen nähert sich bereits dem Ende, als er zur Sache kommt.
»Es tut mir leid, daß ich Yip unter Druck gesetzt habe, aber ich wußte keine andere Lösung. Jetzt haben Sie mir meinen Wunsch erfüllt und sitzen mit mir beim Essen. Ich bin ein Mann, der sein Wort hält – das können Ihnen alle, die mich kennen, bestätigen –, und werde Sie nicht mehr belästigen. Wenn Sie bei meiner nächsten Bitte, mich zu treffen, nein sagen, betrachte ich das als endgültig. Tun Sie mir nur einen kleinen Gefallen. Lesen Sie das hier.« Er reicht ihr ein büchergroßes Päckchen, das sie bereits bemerkt hat. »Es ist in Thai. Wenn Sie nicht viel Zeit haben, lesen Sie nur das Neue Testament, besonders die vier Evangelien.«
Sie betrachtet das Päckchen verdutzt.
Als er sie vor ihrem Haus absetzt, sagt er: »Ich will nicht mit Ihnen schlafen, jedenfalls nicht vor der Ehe, sondern mich nur von Zeit zu Zeit mit Ihnen treffen.« Ein gequältes Lächeln. »Ich möchte Sie umwerben. Ich bin ziemlich altmodisch.«
Sie starrt ihn an, das Buch in der einen, die Chanel-Tasche in der anderen Hand. Chanya muß zugeben, daß sie die Aussicht auf ein unkompliziertes, sicheres, sauberes, moralisches Dasein mit einem starken, aufrichtigen, frommen Mann, der sie nie im Stich lassen, immer für sie und ihre Kinder sorgen und ihr ein glückliches Leben schenken wird, einen Augenblick lang verführerisch findet. Dann merkt sie, daß sie in Seifenopernkategorien denkt. Sein Timing verstärkt die Surrealität der Situation noch. Gehört es zur amerikanischen Kultur, praktisch beim ersten Date einen Heiratsantrag zu machen? Ihre Beziehung wird sich für einen von ihnen als sehr gefährlich erweisen. Als illegale Einwanderin kann sie nur annehmen, daß es sich bei der betroffenen Person um sie handelt. Trotzdem erkennt sie an, daß er diese Runde für sich entschieden hat. Sie wird sich nicht weigern, ihn wiederzusehen. Aber eins muß er begreifen: »Ohne Sex werde ich dir nicht näherkommen. Was dein Gott auch immer davon halten mag, sag ihm: Um ein Thai-Mädchen wirbt man nicht ohne jede Menge Sex.«
Seinen gequälten Gesichtsausdruck ignorierend, wendet sie sich den Aufzügen zu. Schon vorher hatte sie beschlossen, sich nicht zu ihm umzudrehen oder ihm zu winken, und schon bald verschwindet er hinter einer Betonsäule. Als sie die Lifttür erreicht,
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