Bangkok Tattoo
angeheuert, und besteht darauf, ihr Geld zu geben. Sie hat gelernt, mitzuspielen.
»Für die Massage? Fünfhundert Dollar.« Als er ihr die neuen Scheine überreicht hat, die er offenbar jedesmal eigens für sie von der Bank holt, fragt sie: »Wann sehe ich dich wieder?«
Er schüttelt ernst den Kopf. »Keine Ahnung. Ich weiß nicht, ob wir uns weiter treffen sollen. Es ist nicht richtig und tut uns beiden nicht gut; ich fühle mich verantwortlich für deine Seele. Ich glaube, wir werden uns eine Weile nicht sehen.«
Sie läßt sich darauf ein, mit Bedauern in der Stimme. Sie weiß ja, daß er in ein, zwei Tagen wieder anrufen wird, aber weiß er das auch? Wie hin und her gerissen ist er zwischen seinen Persönlichkeiten?
Das ist eine Frage, die sie erst beantworten kann, als es viel zu spät ist. Sie befindet sich in einem großen, rauhen Land, und trotz ihrer Abgebrühtheit gibt es Zeiten, in denen sich auch in ihr ein Abgrund auftut. Einmal ruft sie ihn ohne nachzudenken in seinem Büro an, um ihm von der Simpsons-Episode zu erzählen, in der Marge eine Brustvergrößerung vornehmen läßt. Sie weiß die Nummer, weil er ihr in betrunkenem Zustand seine Visitenkarte aufgedrängt hat. (»Ich möchte, daß du mich pünktlich zu jeder vollen Stunde anrufst; ich will deine Stimme hören, stundenlang schmutzige Sachen mit dir reden.« Natürlich ist sie normalerweise klug genug, diese Nummer nicht zu wählen.) Als ihr bewußt wird, was sie getan hat, hält sie, unsicher, wie er reagieren wird, den Atem an. Vielleicht ist sie zu weit gegangen, und er trennt sich diesmal wirklich von ihr? Langes Schweigen, dann: »Marge wollte gar keine Brustvergrößerung – das war eine Verwechslung im Krankenhaus.« Zögern. »Ich lad dich zum Mittagessen ein. In welches Lokal möchtest du?«
»In Jake’s Chili Bowl?«
»Das ist schwarz, keine gute Idee.«
»Hm, stimmt.«
»Weißt du was? Zieh dir irgendwas Geschäftsmäßiges an, dann gehen wir ins Hawk and Dove beim Capitol Hill. Wenn mich jemand fragt, sag ich, du gehörst der thailändischen Ökologiedelegation an. Die ist zwei Wochen lang da, um die Amerikaner daran zu hindern, daß sie große Teile ihrer Naturreservate aufkaufen. Improvisier einfach, wenn sich irgend jemand an unseren Tisch setzt.«
Chanya hat seit dem Abschied von Thanee nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teilgenommen. Sie merkt erst, wie sehr sie es vermißt, die exotische Delegationsasiatin zu mimen, als Turner das Hawk and Dove erwähnt, wo sie zweimal mit Thanee gewesen ist. Der thailändische Diplomat hat ihr einen schwarzen Hosenanzug gekauft, den sie nun für Mitch Turner trägt, und dazu die große klobige Goldhalskette mit dem Buddha-Anhänger, die sie außerhalb ihrer Wohnung noch nie angelegt hat. Mit den hochgesteckten Haaren, dem dezenten Mascara, den hohen schwarzen Stöckelschuhen, dem ernsten Gesichtsausdruck (den Thanee ihr beigebracht hat, weil er seiner Aussage nach am besten dazu taugt, in den Vereinigten Staaten den eigenen Willen durchzusetzen), der Kombination aus strenger Kleidung und extravagant-üppigem Goldschmuck wirkt sie nicht so sehr wie eine Lobbyistin, sondern eher wie eine Angehörige der thailändischen Aristokratie.
Der Schein ist alles. Im Hawk and Dove wird sie von den Kellnern, die normalerweise Kongreßabgeordnete bedienen, voller Respekt und wie eine ausländische Würdenträgerin höchsten Ranges behandelt. Sie ist hingerissen von dem Lokal und beschließt, Turner weitere Besuche dort als Preis für die Vertiefung ihrer Vertrautheit zu entlocken, obwohl er im Augenblick so etwas wie eine Krise durchmacht, weil er Angst vor der eigenen Courage hat. Es befinden sich doch sicher Kunden von ihr unter den Gästen?
Sie sieht sich um. Nein, soweit sie sich erinnert, ist sie noch mit keinem der anwesenden Männer im Bett gewesen. Mitch Turners Haut wird fahl, und er bestellt eine Flasche Wein.
In ihrem Tagebuch erzählt Chanya nicht weiter von diesem Mittagessen und wie sie in ihrer Wohnung landeten, wo sich ihr übliches Ritual anschloß. Der gemeinsame Lunch hatte jedoch eine Wirkung auf ihn, die keiner von ihnen vorhersah. Im Bett kommt Turner, immer noch ein wenig beschwipst, auf die Idee, sie seinen Eltern vorzustellen. Sie fragt nicht, welchem Vater und welcher Mutter aus seiner fiktionalen Sammlung. Offenbar spielen sie eine Variante ihres üblichen Spiels.
»Das ist keine gute Idee, Mitch. Ich bin eine Thai, und Thai-Frauen haben einen Ruf zu
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