Bangkok Tattoo
mehr oder minder subtile Attacke gelassen weg wie ein Boxer einen Schlag von einem Amateur und sieht mit fragend gehobenen Augenbrauen Hudson an als den Mann, der die örtlichen Bauern versteht. »Ihm gefällt nicht, wie Sie in seinem Büro auf und ab marschieren. Er möchte sicher sein, daß Sie die Regeln kennen. Verraten Sie ihm lieber, was er wissen will.«
»Verstehe«, antwortet sie mit einem entschlossenen Nicken und weist mich an: »Sagen Sie ihm, ich bin Gehaltsstufe elf, wenn ihm das irgendwie hilft.«
Ich übersetze. Vikorn wirft einen Blick auf das Blatt Papier. »Welche Unterstufe?«
»Elf, Unterstufe eins.« Falten treten auf ihre Stirn, als Vikorn mit den Fingern ihren finanziellen Rang auf der Liste ergründet. »Aber die Gehaltsstufe kann irreführend sein«, fügt sie hinzu, augenscheinlich, um zu helfen, aber letztlich, um die Kontrolle wiederzuerlangen. »Man erhält Sonderzahlungen für besonders gefährliche Orte und andere Risikofaktoren.«
Vikorn hebt fragend die Augenbrauen in Richtung Hudson. »Acht, Unterstufe Zehn«, bekennt er.
»Das heißt für sie ein Grundgehalt von 42976 Dollar ohne Sonderzahlungen und für ihn 41 808 Dollar. Ein großer Unterschied besteht zwischen den beiden also nicht.« Vikorn strahlt.
Als ich übersetze, schüttelt sie den Kopf und schließt, um Geduld bemüht, die Augen.
»Siehst du«, sagt Vikorn an mich gewandt, »es hat sich nichts geändert.«
Die CIA-Frau bedenkt mich mit einem kühlen Lächeln.
»Frag sie, ob ›Mitch Turner‹ der wahre Name des Ermordeten war«, sagt der Colonel.
Nach kurzem Schweigen antwortet sie: »Einer von ihnen.«
Vikorn nickt lächelnd. »Frag sie, wer er war.«
»Das ist geheim«, sagt die CIA-Frau höflich, aber bestimmt.
Wieder nickt Vikorn. Schweigen. Die CIA-Frau wendet sich Hudson zu.
»Die Menschen in diesem Teil der Welt können sehr subtil sein«, erklärt Hudson. »Er hat gerade klargemacht, daß wir seiner – feudalkapitalistischen oder realpolitischen, suchen Sie es sich aus – Meinung nach beide unterbezahlte Sklaven sind, die er jederzeit ohne große Mühe kaufen könnte. Seiner Interpretation nach beschäftigen wir uns mit dem Mord an jemandem, der vermutlich unter falschem Namen in dieses Land einreiste und aus Sicht der Polizei möglicherweise überhaupt nicht existierte. Mit anderen Worten: Viel in der Hand haben wir nicht.«
Ich muß sie für ihre blitzschnelle Anpassung an die Gegebenheiten bewundern: Sie rückt einen Stuhl heran, setzt sich vor Vikorns Schreibtisch, beugt sich mit einem halben Lächeln vor und sagt: » Mitch Turner war der Name eines inoffiziellen verdeckten Ermittlers mit Basis im Süden dieses Landes, der in einem Hotelzimmer ermordet und von dem anwesenden Detective gefunden wurde. Ich habe ihn nie persönlich kennengelernt.« Sie sieht Hudson an.
»Ich auch nicht. Er war noch nicht lange genug dabei. Ich sollte ihn in der Woche seines Todes treffen.«
»Nach allem, was ich weiß, war er hochintelligent, vielleicht sogar zu intelligent. Vermerke in seiner Akte weisen darauf hin, daß er sich besser für die Recherche geeignet hätte. Alkohol vertrug er überhaupt nicht, was zu einem Sicherheitsrisiko werden konnte, und er neigte dazu, seine Covergeschichten durcheinanderzubringen. Ich bin nicht wegen des Mordes, sondern wegen der Al-Qaida-Verbindung hier, die Ihr Colonel mit Hilfe der Finger und schwarzen Haare so überzeugend hergestellt hat.«
»Er hat seine Tarngeschichten durcheinandergebracht?«
»Tja, ich fürchte doch.« Und an mich gewandt fährt sie fort, als wäre ich wichtig (nun, immerhin spreche ich Englisch): »Das läuft unter Berufsrisiko, besonders bei Leuten mit labilem Identitätsgefühl. Wenn man lange genug verdeckt ermittelt, schlüpft man irgendwann in die Geschichte, die einem gegeben wurde. Darüber gibt es einige wissenschaftliche Aufsätze. Manchmal nistet sich eine der alten Geschichten in der aktuellen ein – Identität ist letztlich nichts anderes als eine Abfolge kultureller Impulse. Außerdem hatte er ein dysfunktionales Privatleben, aber das ist bei allen inoffiziellen verdeckten Ermittlern so. Sie sehnen sich nach Nähe, doch wie soll man mit jemandem vertraut werden, wenn man ein wandelndes Staatsgeheimnis ist? Die Opfer, die wir unseren Mitarbeitern abverlangen, sind für die labileren einfach zuviel. Dazu litt er unter periodisch auftretenden religiösen Schüben, die auch nicht gerade gut waren für seine Tätigkeit. Er wurde wegen
Weitere Kostenlose Bücher