Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bankgeheimnisse

Bankgeheimnisse

Titel: Bankgeheimnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Sievers
Vom Netzwerk:
Er spürte Kälte an seiner Wirbelsäule. Ihm war unvermittelt alles eingefallen, was er über diesen Mann gehört hatte. Er wußte, daß Ernst zweiundzwanzig Jahre lang für den Staatssicherheitsdienst der DDR gearbeitet hatte, wo er als Spezialist für unlösbare Fälle galt, ein Spezialist mit einem besonderen Faible für die erfolgreiche Behandlung von Regimekritikern.
    »Johanna Herbst hat einen Bruder, Michael Sonntag«, sagte Ernst. »Er ist acht Jahre jünger als sie. Ihre Eltern betrieben eine kleine Schreibwarenhandlung. Sie kamen bei einem Verkehrsunfall ums Leben, als sie dreizehn war und ihr Bruder fünf. Es gab keine Verwandten, bis auf eine Tante der beiden. Sie nahm die Kinder auf. Es ging nicht lange gut. Die Tante hatte einen Freund, der eine geheime Vorliebe für junge Mädchen hatte. Er hat sich an das Mädchen herangemacht, sie betatscht. Es kam heraus. Die Tante hat im Tagebuch ihrer Nichte geschnüffelt. Der Freund ging in den Knast und die Kinder ins Heim. Dort gab es in der Folgezeit unerfreuliche Zwischenfälle. Kinder werden in solchen Stätten schnell erwachsen. Ein Sechzehnjähriger mißbrauchte das Mädchen wiederholt. Sie meldete es nicht. Eines Tages hatte sie eine Fehlgeburt, und die Sache flog auf. Das Mädchen sagte, sie hätte es aus Angst nicht gemeldet, weil der Bursche damit gedroht hatte, ihren Bruder umzubringen. Man glaubte ihr nicht so recht. Sie war ja kein unbeschriebenes Blatt mehr. Der Freund ihrer Tante hatte sie immerhin schon auf den Geschmack gebracht. So schlimm konnte es also nicht gewesen sein. Sie und ihr Bruder wurden in ein anderes Heim abgeschoben, die Sache verlief im Sande.«
    »Keine schöne Jugend.« Strass schlürfte geräuschvoll aus seiner Tasse. Er vergaß seine guten Vorsätze und nahm sich eins von den Törtchen. Er biß hinein und sagte mit vollem Mund: »Um so beachtlicher, daß sie es so weit gebracht hat. Was ist aus dem Bruder geworden?«
    »Eine Niete. Er haute ständig aus dem Heim ab, knackte Automaten, später Autos. Als er vierzehn war, hat seine Schwester es nach mehreren vergeblichen Versuchen irgendwie geschafft, das Sorgerecht zu bekommen. Er zog zu ihr in eine Bruchbude von Wohnung, aber es klappte nicht. Sie arbeitete für ihr Studium und jobbte nebenher bis in die Nacht, er klaute weiterhin Autos. Dann kam Rauschgift dazu, und das war’s dann. Zuerst Ermahnungen, Freizeitarreste, später kurze Jugendstrafen. Zuletzt kamen fast drei Jahre zusammen, von denen hat er gut anderthalb abgebrummt und ist jetzt auf Bewährung draußen. Er hatte eine Beziehung zu Klingenbergs Tochter Natascha, bis sie an einer Überdosis starb. Das war etwa vor drei Jahren.«
    Strass ließ mit unübersehbaren Anzeichen von Desinteresse seine Blicke umherschweifen und musterte dann verstohlen den Teller mit den Törtchen, aber Amery hatte aufmerksam zugehört und alles gespeichert. Im Lichte dessen, was Ernst gerade über die Frau erzählt hatte, wurden verschiedene Einzelheiten des Plans verständlicher.
    Ernst erhob sich. »Jorge. Chen.«
    Die beiden Männer am Nachbartisch standen sofort auf und kamen zu ihm. »Das war für heute alles«, sagte er, schon im Weggehen begriffen. Seine Stimme klang unbeteiligt. »Wir sehen uns wieder, wenn alles gelaufen ist.«

5. Kapitel

    Wiking saß im vierzehnten Stockwerk des Bankgebäudes in seinem Arbeitszimmer. Das Haus war bei weitem nicht so hoch wie die Beton- und Glasriesen der Großbanken, in deren Schatten es lag, und die Bank war auch nicht annähernd so kapitalstark. Dafür gehörten sie beide ihm, das Haus ebenso wie die Bank, jedenfalls das meiste davon. Er hielt als Hauptaktionär mit über siebzig Prozent aller Anteile die Mehrheit der Stimmrechte in den Aktionärsversammlungen, und als Vorstandsvorsitzender hatte er das letzte Wort in der Geschäftsleitung.
    Er spielte mit seinem Briefbeschwerer, einem kostbaren, aus einem einzigen, kiloschweren Stück geschliffenen Opal mit grünlich schillernder Maserung. Müßig ließ er seine Augen über die Einrichtung des Raumes schweifen. Kaum noch etwas erinnerte daran, daß in diesem Zimmer noch vor weniger als zwei Monaten sein Cousin gesessen und von hier aus die Geschicke der Bank gelenkt hatte. Wiking hatte alles herausreißen lassen, was nicht niet- und nagelfest gewesen war. Klingenberg hatte seiner Meinung nach einen ausgeflippten Geschmack gehabt, sein Büromobiliar war eine Mischung aus Bauhaus- und kitschigem Art-deco-Stil gewesen, ein Sammelsurium an

Weitere Kostenlose Bücher