Bannkrieger
Alte nickte ihr freundlich zu und sah dann wieder auf den Platz hinaus, während Yako und ihre Begleiter in den Tempel traten. Drinnen empfing sie gähnende Leere. Weder Priester, Gläubige noch Trauernde bevölkerten die große Säulenhalle und ihre Seitenflügel, in denen den unterschiedlichsten Gottheiten — vom heiligen Amboss über die Berggeister der Phaa bis zum Schöpfer und Zehrer – gehuldigt wurde. Ihre Schritte hallten laut von den hohen Wänden wider, als sie die Reihen mit den Marmorpodesten passierten. Nur auf zweien von ihnen lagen mit Blumen geschmückte Tote, denen die Hände über der Brust gefaltet waren. Vor den nackten, mit duftenden Salben eingeriebenen Füßen standen kleine Tonschüsseln mit Opfergaben für den letzten aller Wege, überwiegend Früchte, aber auch aus Ton gefertigte kleine Waffen und Alltagsgegenstände.
Bornus stahl einen schon leicht schrumpligen Apfel und biss hinein. »Und jetzt?«, fragte er kauend.
Yako spähte erst in alle Richtungen, um sicherzustellen, dass sie wirklich allein waren, bevor sie auf einen massiven Sandsteinblock an der Nordseite deutete. Ein mit großem Talent gesegneter Steinmetz hatte den Opfertisch so bearbeitet, dass allen vier Ecken furchterregende Falkenköpfe entsprangen. Yako trat von hinten heran und strich mit den Fingerspitzen über die links und rechts von ihr aufragenden Schnäbel. Nach einem letzten Blick in die Runde packte sie den linken der beiden und drehte ihn mit großer Kraft zur Seite, bis der Kopf schräg stand. Kaum war sie mit dem rechten genauso verfahren, rumpelte der vor ihnen ruhende Altar zur Seite und gab den Einstieg zu einer verborgenen Treppe frei.
»Gut zu wissen«, sagte Bornus, bevor er auch den Rest des Apfels mitsamt dem Kerngehäuse verschlang.
Yako, die gerade eine Fackel herbeigeholt hatte, hielt inne. »Falls wir die nächsten Tage überleben, sorge ich dafür, dass hier eine tödliche Falle für ungebetene Besucher wie dich errichtet wird.«
Der Iskander rümpfte die Nase. »Als wenn es bei euch noch etwas Lohnendes zu stehlen gäbe.«
»Redet nicht so dumm daher«, schimpfte Rorn und sagte dann, direkt an Bornus gewandt: »Rück lieber meinen Mantel heraus.«
Der Bannkrieger und der Iskander hatten ihre Umhänge getauscht, weil weiterhin ein Flüchtiger mit schlohweißer Mähne und Kapuzenledermantel gesucht wurde, obwohl sich die Gedanken der Gardisten mittlerweile auf den Feldzug konzentrierten, selbst bei den wenigen, die zum Schutz der Stadt in Greifenstein geblieben waren.
Nachdem Bornus wieder seinen eigenen Umhang trug, stiegen sie in die Dunkelheit hinab. Unten angelangt, betätigte Yako einen Hebel, der den Steinblock wieder an seinen ursprünglichen Platz rückte. Als Vertraute des Großmeisters kannte die Phaa alle Geheimgänge des Jadeordens, also auch diesen, der Burg und Totentempel miteinander verband.
Die abgestandene Luft ließ die Flamme ihrer Fackel schrumpfen. Zwischen engen Mauern entlang marschierten sie in die Nähe des ebenfalls nordwärts gelegenen Kerkergewölbes. An einer geheimen Tür angelangt, spähte Yako durch ein Guckloch in den dahinterliegenden Korridor.
Danach zog sie ihr Schwert und wandte sich ihren Begleitern zu.
»Los!«, forderte sie mit leiser Stimme. »Ihr wisst, was zu tun ist.«
Rorn und Bornus legten ihre Schwerter ab und übergaben sie der Phaa. Danach zogen sie kurze Stricke aus ihren Taschen, klemmten die Enden zwischen ihre Finger und wickelten sie sich um die Handgelenke, sodass es bei flüchtiger Betrachtung aussah, als wären sie gefesselt. Dann betätigte Yako erneut einen Hebel, der die Mechanik der vor ihnen liegenden Tür in Gang setzte.
Sie gelangten in einen schwach beleuchteten Korridor, der bereits nahe am Verlies lag. Der Ausmarsch der Truppen war deutlich zu spüren. Unterwegs kamen ihnen keine Bewaffneten entgegen, nur ein paar Mägde und Knechte, die zwar neugierig die Köpfe drehten, aber angesichts der allseits bekannten Phaa keine Fragen stellten.
Dass die Vertraute des Großmeisters zwei Gefangene abführte, erschien niemandem verdächtig, auch nicht dem Kerkerposten, der von seinem Platz aufsah, als sie zu ihm herantraten. Es war ein anderer Mann als bei Yakos letztem Besuch. Vor Kurzem hatte also eine Ablösung stattgefunden.
»Heute geht’s ja zu wie im Taubenschlag«, sagte der übergewichtige Gardist, dessen Kopfhaut deutlich zwischen dem sandfarbenen Haar durchschien.
»Wir leben in unruhigen Zeiten«, bestätigte
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