Bannkrieger
Dagomar zur Weißglut getrieben, aber hier, im Freien, wo nur dünne Zeltwände vor neugierigen Ohren schützten, wurden seine Vorhaltungen allmählich zu einem echten Ärgernis.
»Genug!«, forderte der König, leise drohend. »Ich bin der Kriegsherr, darum entscheide ich, was getan wird. Und meine Taktik lautet, dem Feind vor der großen Schlacht ordentlich einzuheizen, damit er weiß, was ihm blüht, und er mit zitternden Knie in den Kampf zieht!«
Die kleine Handvoll Jademeister und Adliger, die mit im Königszelt weilte, hatte sich weit von dem großen Holztisch zurückgezogen, an dem die beiden mächtigsten Männer des Reichs miteinander stritten. Schwingenschild und Geschmeide waren auf Ruppels Wunsch in einem anderen Zelt untergebracht worden, angeblich, um ihre Magie vor der großen Schlacht durch nichts zu stören, auch nicht durch die Aura eines aufgebrachten Königs. Trotzdem fürchteten alle, dass der Streit zwischen Dagomar und dem Großmeister plötzlich nicht mehr nur mit Worten, sondern mit den Insignien ihrer Macht ausgetragen werden könnte. Da das mächtige Geschmeide kein Ungeziefer mehr zu bannen hatte, konnte es auf einmal eine ganz andere, weitaus zerstörerischere Seite zeigen, von der niemand wusste, wie stark sie wirklich war.
Ruppel machte Anstalten, Dagomar etwas zu erwidern, bäumte sich aber plötzlich in seinem Stuhl auf, ohne ein Wort über die Lippen zu bringen. Sein eben noch vor Wut gerötetes Gesicht lief plötzlich schwarz an.
Der König fuhr erschrocken auf. »Was ist los? Ist Euch nicht gut, Großmeister?«
Ruppel machte eine abwehrende Geste mit der Hand und senkte gleichzeitig das Gesicht, um es vor den anderen zu verbergen. Sofort stürzten einige Jademeister herbei, um sich um ihn zu kümmern, doch er stieß sie grob zurück.
»Großmeister!« Selbst Hagow, der Zweithöchste des Ordens, musste bei einem näheren Blick auf sein Gesicht ein Würgen unterdrücken. »Was geschieht mit Euch?«
Dagomar eilte um den Tisch herum. Das Letzte, was er gebrauchen konnte, war der Vorwurf, schuld an einem Schwächeanfall des Großmeisters zu sein. Einer spontanen Eingebung folgend, nahm er den unberührten Weinbecher vom Tisch und führte ihn an die Lippen des auf die Brust gesunkenen Gesichts. Keiner der Jademeister, die ihn umstanden, schritt gegen diese grobe Geste ein.
»Kommt schon«, forderte der König ungeduldig. »Ein Schluck zur Beruhigung wird Euch guttun.«
Ruppel schlug den Becher so heftig zur Seite, dass der Wein durchs Zelt spritzte. Dagomar hätte das hingenommen, hätte in dem Wein, der noch im Becher verblieben war, nicht plötzlich ein widerlich borstiges Insekt gezappelt, eines von der elenden Sorte, das Greifenstein belagert hatte. Angeekelt schleuderte er den Becher zu Boden, packte den Großmeister an den Haaren und riss dessen Kopf brutal in den Nacken.
Niemand hinderte ihn an seinem Tun, alle stöhnten nur vor Entsetzen auf, als sie das schwarze Gewimmel sahen, das genau dort nistete, wo sich eben noch Ruppels Augen befunden hatten. Die Linien seiner Wangen und des Mundes waren ebenfalls zu ineinander verkrallten Insekten zerfallen, die seine Gesichtszüge nur noch unvollständig nachzuahmen vermochten.
»Ein Wechselgänger!«, stieß Hagow entsetzt hervor.
Als wäre die laut ausgesprochene Erkenntnis ein Machtwort, zerfiel auch der Rest von Ruppels Gestalt. Plötzlich hielt Dagomar keine Haare mehr zwischen den Fingern, sondern krabbelndes Gewürm. Angewidert sprang er zurück.
»Fackeln her!«, schrie er. »Diese Brut muss umgehend ausgemerzt werden!«
»Zu spät!«, grollte es aus dem schwarzen Schlund hervor, der nur noch entfernt an einen Mund erinnerte. »Euer Schicksal ist längst besiegelt!«
Dann platzte die Schattengestalt auseinander und schwirrte in alle Richtungen davon. Das blaue Brokatgewand sackte leer in sich zusammen. Heulend vor Wut trat Dagomar gegen den Stuhl, auf dem es lag. Aber auch das verhinderte nicht, dass das Geschmeiß unangreifbar unter dem Dach umherwaberte, bevor es mit Macht gegen den Eingang fuhr, die Zeltbahnen auseinanderschlug und in den weiten Nachthimmel entkam.
»Wie war das bloß möglich?«, schrie Dagomar aufgebracht, während allen anderen noch der Schreck über diese ungeheuerliche Entdeckung in den Gliedern saß. »Wie konnten die Iskander so etwas bewerkstelligen?«
Niemand wusste eine Antwort auf diese Frage.
»Das muss in der Nacht geschehen sein, als die Jadeträgerin verschwand«, versuchte
Weitere Kostenlose Bücher