Bannkrieger
kleinere Steine den großen in der Front flankierten.
Rorn spürte ein Kribbeln im Bauch, das nicht unangenehm war. Er brauchte weder Neele noch jemand anderen auf dem Platz zu fragen, ob es ihnen genauso erging, er wusste, dass es so war. Genauso, wie er keinen Moment lang daran zweifelte, dass sie gerade die Macht der Schattenjade fühlten, die sich langsam über den Platz ausbreitete und alles und jeden durchdrang.
Die Wirkung, die von dem gesamten Geschmeide ausging, war eine ganz andere als noch am Morgen während des Gefechtes mit den Iskandern, als sie sich kaum von ein paar ganz normalen Schmuckstücken unterschieden hatten.
Rorn vermochte den Blick nicht mehr von der Jadeträgerin zu lösen, die weiterhin reglos vor ihnen stand. Ihre schmalen Füße steckten in schwarzen, mit Goldstickereien verzierten Stoffschuhen, was ihn irgendwie belustigte, trotzdem fiel es ihm immer schwerer, in ihr noch die Frau zu erkennen, die er im Wald getroffen hatte; Mea verschwand immer stärker hinter der Gestalt der Schutzheiligen, der sie alle so viel verdankten – der Jadeträgerin.
Nur am Rande seines Bewusstseins nahm er Yako wahr, die etwa zehn Schritte hinter ihrer Herrin stand und zu ihm herüberstarrte, die Augenbrauen über der Nasenwurzel zusammengezogen, als würde sie missbilligend oder gar wütend blicken, während sie abwechselnd Neele und ihn fixierte.
Ehe ihm das irgendwie merkwürdig vorkommen konnte, hob die Jadeträgerin beide Hände zum sonnendurchfluteten Himmel, und das Kribbeln, das sich bisher auf Rorns Magen beschränkt hatte, breitete sich explosionsartig in seinem ganzen Körper aus.
»Wir, die wir in der Gunst des Weltenschöpfers stehen, haben ein Recht auf die Früchte unserer Arbeit!« Die Stimme, mit der Mea den Schutzbann sprach, donnerte wie von allen Seiten an seine Ohren. »Auf volle Kornkammern, auf Speise und Trank über das ganze Jahr.«
Irgendwo hinter ihnen erklang ein grelles, schmerzerfülltes Fiepen, das sich dutzendfach im ganzen Dorf wiederholte und auch in den umliegenden Wäldern sein Echo fand.
»Darum hebt euch hinfort, Geschmeiß und Plagen!« Die Jadeträgerin begann am ganzen Leib zu zittern, ihre Augen verdrehten sich ins Weiße. »Hebt euch hinfort, auf dass ihr uns und unserem Leben nicht mehr schadet!«
Über den Wäldern stiegen dunkle Schwaden auf. Wie unter den Schlägen einer Titanenfaust wogten sie von links nach rechts und wieder zurück. Von unsichtbaren Mächten umhergewirbelt und durcheinandergeworfen, knisterten und knackten sie dabei, wie Nussschalen, die unter hohem Druck zersplitterten. Hundertfach, tausendfach, über einem riesigen Gebiet, das weiter als das Auge reichte.
»Alles nützliche Getier sei von diesem Banne ausgenommen!« Der Rücken der Jadeträgerin drückte sich durch, als zerrten die Kräfte, über die sie gebot, auch an ihrem eigenen Körper. Ihre schlanke Gestalt schien zu wachsen und sich einige Fingerbreit weit vom Boden zu erheben. Auf den Zehenspitzen balancierend, fuhr sie fort: »Alles Ungeziefer und Gewürm der Lüfte und der Erde sei dagegen verbannt!«
Zwischen der Schwitzhütte und dem angrenzenden Kornspeicher schossen graue Schatten hervor und jagten übereinander hinweg. Borstige Schemen, die sich in Krämpfen wanden und doch verzweifelt zu flüchten versuchten. Feldhamster, Mäuse und Ratten, die bisher der bloßen Anwesenheit der Jadeträgerin widerstanden hatten, denen der Bann, der sich zu allen Seiten hin ausbreitete, aber nun zum Verhängnis wurde.
»Seid verbannt!«, rief Mea, während sie die Schattenjade in ihrem Stirnreif berührte.
Von einem abstoßenden Quieken begleitet, wirbelten mehrere Nager fünf, sechs Königsellen hoch in die Luft und zerplatzten von innen heraus.
»Seid verbannt!«, wiederholte Mea und berührte dabei den Anhänger, der zwischen ihren Brüsten pendelte.
Das grell ansteigende und plötzlich abbrechende Fiepen wiederholte sich überall im Dorf. In den Ohren der Menschen, die ihre letzten Kornvorräte nicht mit den gefräßigen Nagern teilen mochten, hörte es sich an wie Harfenklänge.
»Seid verbannt!« Meas Hände wanderten zur Gürtelschnalle.
»Seid verbannt!« Bei jeder weiteren Wiederholung berührte sie einen der Spiralreifen an ihren Armen.
Das Prickeln in Rorns Körper wurde beinahe unerträglich. Obwohl der Bann Menschen und jedwedes nützliche Getier verschonte, spürte er deutlich, wie sich vor ihm immer größere Kräfte aufbauten und sternförmig ins Land
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