Bannstreiter
Zyklopentränen einsetzen würde, um Eonis zum Vater ihrer Kinder zu machen?
Da sie tief verletzt war, wallten ihre Gefühle so stark auf, dass sich der Aar unter ihrem starken Einfluss zu winden begann. Rund um seine tiefschwarzen Pupillen entstand ein feines Geflecht aus geplatzten Äderchen, außerdem trat aus einem der beiden Luftlöcher ein Blutstropfen hervor, der langsam den Schnabel herablief.
Rasch bezähmte die Hexe ihre Wut, obwohl alles in ihr danach schrie, irgendein Leben auszulöschen.
Wie gut sie daran tat, dem Tier keinen weiteren Schaden zuzufügen, zeigte sich schon wenig später, als sie Kimues letzte Worte hörte: »Wenn sie Kinder von dir bekommt, wird Perac vor aller Welt beschwören, dass du bei ihrer Zeugung unter Hatras Bann gestanden hast!«
Es dauerte einen Moment, bis sie die Tragweite dieser Drohung begriff, doch dann wurde Hatra so kalt, als stände sie nackt inmitten eines heftigen Schneesturms.
»Wurm!«, stieß sie unbewusst hervor. »Du elender Wurm!«
Großmagier Perac, dieser alte Ränkeschmied! Mit dieser Lüge zerstörte er alles, was sie sich mühsam aufgebaut hatte. Und dass alles nur, um sich ein Plätzchen im Schatten der Leu zu sichern, anstatt Hatra dabei zu unterstützen, die Nachfahren der Seth zu neuen Höhen zu führen.
In ihrem Zorn hörte sie gar nicht, wie die Knochen des Aar leise knackend zerbrachen und sein Herz unter ihrem geistigen Griff zerplatzte. Ohne einen weiteren Laut kippte das Tier zur Seite, während sie fieberhaft überlegte, wie sich retten ließ, was noch zu retten war. Doch gegen derartige Lügen war auch sie machtlos. Zumindest, wenn sie von Perac gestreut wurden, der sich so gut auf den Umgang mit Zyklopentränen verstand.
Mit Kimue und allen Greifen mochte sie noch fertig werden, aber nicht mit ihrem erfahrenen Großmeister, wenn er bis zum Äußersten ging. Wenn er wirklich bereit war, sie zu vernichten, um als Letzter seiner Art seinen Platz bei den Leu zu festigen. Den mächtigsten Mann des Reiches unter ihren magischen Bann zu stellen, ein schlimmeres Vergehen war gar nicht vorstellbar! Perac war jedoch dazu bereit, sie den Greifen mit dieser Anschuldigung zum Fraß vorzuwerfen – anders war sein Bündnis mit Kimue gar nicht zu verstehen.
Von plötzlicher Panik erfasst sprang die Hexe auf und eilte zum nächsten Fenster. Draußen war noch alles ruhig. Zu ruhig vielleicht? Nein, da gab es noch keine Garden, die zu ihrer Ergreifung ausrückten. Sie durfte sich jetzt nicht unnötig selbst verrückt machen.
Im Osten kroch gerade erst die Dämmerung heran. Fahles Morgenlicht ließ die Häuser und Gassen Myandors kalt und unnahbar wirken. Doch auch wenn es nicht zu spüren war – das Netz um sie herum zog sich wahrscheinlich schon unerbittlich zusammen. Sicherlich war Kimue bereits unterwegs, um ihre Anschuldigung unters Volk zu bringen, und wenn diese dann von Perac bestätigt wurde, waren Hatras Tage zweifellos gezählt. Und der Magier würde Kimue in ihrem Vorhaben unterstützen. Der Großmeister war schon zu weit gegangen, für ihn gab es keine Umkehr mehr.
Hatra blieb jetzt nur noch, die Flucht zu ergreifen. Doch sosehr die Zeit auch drängte, widerstrebte es ihrem Stolz, diesen Schritt wirklich zu vollziehen. Verzweifelt krallte sie sich an der Fensterbank fest, bis zwei ihrer Fingernägel brachen. Eben noch hatte sie sich als zukünftige Königsmutter der vereinten Reiche gesehen, und nun sollte sie in die Einsamkeit flüchten? Unter irgendeinen Stein kriechen, in der trügerischen Hoffnung, dass ihr Name eines Tages vergessen sein würde?
Am Horizont stand die Sonne inzwischen so hoch, dass sie einen Regenbogen in die noch feuchte Morgenluft malte. Der schillernde Lichtbogen, der sich von einem Punkt auf der Erde zu einem anderen zu spannen schien, wirkte auf sie wie ein Zeichen der großen Schlange, das ihr Mut einflößen sollte.
Ja, ihr Entschluss stand fest! Statt bis an ihr Lebensende vor den Schergen der Sieger zu zittern, ging sie lieber das Risiko einer direkten Konfrontation ein. Perac war schließlich nicht der Einzige, der Grenzen übertreten konnte.
»Wenn einer von uns beiden sterben soll, dann du!«, sagte sie in die kalte Morgenluft hinein.
Der Hall der eigenen Worte klang gut in ihren Ohren. Ja, Hatra war fest davon überzeugt, dass dies keine haltlose Drohung war, sondern ein Versprechen, das sie sich selbst gab.
17. Hinter der Zyklopenmauer
Syrk
»Ob es Venea und Rorn wohl geschafft haben?«, fragte
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