Bannstreiter
»Nein!«, kreischte Silberhaupt hinter ihnen auf, doch für eine Umkehr war es längst zu spät, obwohl sich die Hexe auf den letzten Schritten besann und doch gegen die Passage sträubte. Sie einfach hinter sich herzerrend stolperte er mit ihr in den Durchgang.
Die wabernden Luftmassen umschlossen sie wie eine zweite Haut. Zunächst war ihnen, als würde nichts weiter geschehen, aber dann fühlten sie sich von einer fremden Macht angesogen. Wie von einem Luftwirbel erfasst schleuderten sie davon, in einen langen Schlund aus kreisender Dunkelheit hinein.
Zur Zeit der Zyklopen
Hatra wusste sofort, dass etwas Wichtiges vorgefallen sein musste, als der falsche Para in ihre Kammer geflogen kam. Der Bann, mit dem sie ihn belegt hatte, betraf nicht nur sein buntes Gefieder, sondern reichte viel tiefer. So tief, wie es sich kein Leu wohl je vorstellen konnte. Ihre Haut prickelte, während der Vogel aufgeregt unter der hohen Decke kreiste.
»Herab mit dir«, befahl sie mit kalter Stimme, ohne auf den Platz am Boden zu deuten, an dem sie das Tier sehen wollte.
Trotzdem zog es sofort die Flügel an und hielt auf die gewünschte Stelle zu. Klackend trafen die Krallen auf den glatten Marmor. Vom eigenen Schwung getragen schlitterte der bunt schillernde Aar weiter, kehrte aber sofort tippelnd an den Ausgangsort der Rutschpartie zurück. Am Ziel angelangt erstarrte er mitten in der Bewegung, bereit, alles über sich ergehen zu lassen, was seine Herrin mit ihm vorhatte. Nur sein hektisch auf und ab zuckendes Augenlid bewies, dass noch Leben in ihm steckte.
Rasch kniete Hatra bei ihm nieder, um in seiner Nähe zu sein. Distanz kostete nur unnötig Kraft, und sie wusste, dass sie noch jedes Quäntchen von ihr brauchen würde.
»Sei, was du bist«, flüsterte sie in der Sprache der Seth, obwohl es nicht nötig gewesen wäre, ihren Gedanken auf diese Weise Ausdruck zu verleihen. Magie zu wirken war ihr längst in Fleisch und Blut übergegangen. Doch das Auftauchen des Tieres machte sie nervös, und deshalb befolgte sie die Rituale, die einem Novizen den Umgang mit seinen Kräften erleichterten. Das unterschied sie noch von Perac, der solches Gebaren längst abgelegt hatte und höchstens noch verwendete, um Außenstehende zu beeindrucken.
Unter ihrem bloßen Willen verblassten die Farben des Gefieders zu einem schmutzigen Grau, bevor das ursprüngliche Nachtschwarz wieder hervortrat. Gleichzeitig verwandelte sich der weit vorspringende Schnabel in seine alte Form zurück. Von diesem äußeren Bann befreit reckte der Vogel zufrieden den Hals, ohne zu ahnen, dass ihm der unangenehmste Teil der Prozedur noch bevorstand.
Hatra wusste, dass sie Vorsicht walten lassen musste. Wenn sie dem Aar zu viel auf einmal zumutete, konnte sein Herz dabei zerplatzen. Tot nutzte er ihr aber wenig.
Sprich! Diesmal beließ sie es bei dem Gedanken, um dem Tier ihren Willen aufzuzwingen. Der rot geränderte Schnabel öffnete sich mehrmals, ohne einen einzigen Ton hervorzubringen, aber dann, nach einem nervösen Flügelschlag, drang doch leises Zischeln aus der kleinen Kehle. Für einen unbedarften Lauscher mochte sich das unverständlich anhören, doch für Hatra waren es klare und deutliche Worte der Seth.
»Ich weiß genau, was die Hexe von mir will, aber auch, wie ich es ihr versagen kann.« Obwohl ihr der Satz, der zweifellos von Eonis stammte, einen Stich ins Herz versetzte, verstand sie nicht, warum der Aar deshalb das Gemach des Königs verlassen hatte. Natürlich versuchte der König anderen gegenüber damit zu prahlen, dass ihm seine Geliebte untertan war. So waren Monarchen nun einmal, gleich welchem Volk sie angehörten oder welcher Kultur sie entstammten.
»Elendes Buhlengeschenk!«, zischelte der Vogel, um ihre stumme Frage nach dem warum zu beantworten. »Du bist mir schon lange zuwider!«
Das klang nach einem Wutausbruch Kimues, stellte die Hexe mit grimmiger Freude fest. Der Aar hatte also aus reinem Selbsterhaltungstrieb gehandelt. Wohl getan. Denn tot nutzte er nicht mehr viel.
Freu dich nicht zu früh , rief sie sich selbst zur Ordnung. Sicher sind bei einem solch heftigen Streit noch viele weitere Worte gefallen.
Obwohl der geflügelte Spion bereits unter ihrem geistigen Griff zitterte, zwang sie ihn dazu, alles zu wiederholen, was er seit dem Eintreffen der Favoritin vernommen hatte. Was Hatra dabei zu hören bekam, ließ selbst ihre kühlen Wangen erröten. Perac, dieser elende Wurm! Wie konnte er nur behaupten, dass sie
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