Bannstreiter
niederlassen konnte. »Sie weiß wohl über alles Bescheid, wie mir scheint.«
»Allerdings«, versetzte Venea. »Du wirst noch staunen, wenn du sie einmal kennen lernst.«
»Mag sein. Aber zunächst müssen wir alleine zurechtkommen.« Rorn lauschte in die sie umgebende Dunkelheit hinein, ohne das geringste Geräusch auszumachen.
Das Verschließen des Tores hatte keinen einzigen Herzlosen angelockt. Aber auch von den zur Domäne aufgebrochenen Pilgern war kein einziger Laut zu hören. Konnte es sein, dass ihre Passage zu einem anderen Tor geführt hatte?
Er behielt diesen nagenden Verdacht lieber für sich, während er darauf wartete, dass sich seine Augen an die schlechteren Lichtverhältnisse gewöhnten. Als sich seine Pupillen entsprechend geweitet hatten, erkannte er, dass sie sich auf einer kahlen Fläche befanden, die von einer hohen Steilwand umgeben war. Nur gen Osten gab es freie Sicht auf eine glatte Ebene, die das Sternenlicht silbern reflektierte.
Das Meer, kein Zweifel.
»Was sind das für merkwürdige Erhebungen?«, fragte Venea verblüfft und deutete dabei auf einige hügelförmige Schatten, die fünfhundert Königsschritte und mehr von ihnen entfernt lagen.
Ein hell schimmerndes Rechteck, das an eine offene Tür erinnerte, machte rasch klar, dass es sich dabei um Gebäude handelte. Neugierig machten sie sich auf den Weg, um das Gelände zu erkunden. Rorn behielt dabei Grimmschnitter in der Rechten, denn sie mussten immer noch davon ausgehen, dass hier irgendwo ein paar Herzlose lauerten.
Je näher sie den seltsamen Kuppeln kamen, desto höher wuchsen sie an. Die wahren Ausmaße wurden ihnen aber erst bewusst, als sie die Erste von ihnen erreichten und plötzlich in einem torlosen Eingang standen, der sie um das Dreifache überragte.
Im Inneren war es stockdunkel.
Ohne sich mit Rorn abzusprechen, jagte Venea eine Feuerlohe zur Decke hinauf. Das erschien ihm sehr leichtsinnig, doch die durch die Dunkelheit schneidende Flammensäule enthüllte, dass sie ganz alleine waren. Nur einige Steinsitze von gigantischen Ausmaßen zeichneten sich ab, die mit den hohen Rückenlehnen zur Wand fein säuberlich im Kreis aufgestellt waren. Wer immer auf diesen wuchtigen Blöcken gethront hatte, musste über einen mächtigen Körper verfügt haben.
Aus Rorns Sicht kam dabei nur ein einziges Volk in Betracht.
»Zyklopen«, hauchte er leise.
Venea nickte, um seine Vermutung zu bestätigen.
Vorsichtig nach allen Seiten sichernd gingen sie wieder hinaus und setzten ihren Weg fort, dabei instinktiv auf den einzigen Ort zuhaltend, der Leben versprach: das von innen heraus leuchtende Zyklopentor. Sie passierten zwei weitere Kuppeln, zwischen denen sich ein schwacher Schimmer wölbte, in dem gebückte Gestalten umherhuschten. Ob das Pilger wie Gerwin und seine Eltern waren, die gerade mit dem kargen Gelände haderten, das ihnen als blühende Domäne angepriesen worden war?
In gebückter Haltung schlichen sie leise näher, um zu sehen, was dort vor sich ging. Es dauerte eine ganze Weile, bis die sich immer deutlicher hervorschälenden Schatten ein sinnvolles Ganzes ergaben. Doch als Rorn und Venea endlich so nahe heran waren, dass sie die Szene überblicken konnten, blieben sie abrupt stehen. Rorns Verstand weigerte sich zunächst zu glauben, was er da sah, aber sooft er auch mit den Lidern zwinkerte, um die vermeintliche Täuschung zu vertreiben – das dargebotene Bild blieb stets das Gleiche.
Die Pilger, die durch das Portal geschritten waren, lagen alle reglos übereinander, abgeschlachtet wie Vieh. Ihre Kehlen waren durchschnitten und der Brustkorb eines jeden von ihnen geöffnet worden. Die Spinnenreiter, die sie ermordet hatten, waren gerade damit beschäftigt, den Toten die Herzen zu entnehmen.
Vorsichtig, als handele es sich um ein äußerst wertvolles Gut, trugen sie die Organe zu einigen von glühenden Sphären, die das grausige Geschehen beleuchteten. Über die Hälfte von ihnen war bereits befüllt, die anderen warteten noch darauf, ein Herz aufzunehmen.
Rorn wusste nicht, was ihm mehr Übelkeit bereitete. Dass er Gerwins schmächtigen Körper unter den toten Leibern entdeckte, oder dass deutlich zu sehen war, wie sich die Herzen in den blutverschmierten Sphären zusammenzogen und wieder entspannten. Immer wieder, im gleichmäßigen Takt.
Sie schlugen noch. Die Herzen der Toten!
Veneas Magen war nicht so abgehärtet wie der seine. Würgend wandte sie sich ab und erbrach sich im Gras. Dafür war
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